Die vierte Hand
vorauszusehen, »die Zajac« - in Deutschland und Japan hergestellt. (Das deutsche Modell war geringfügig teurer, aber beide wurden weltweit vermarktet.) Der Erfolg der »Zajac« hatte es Dr. Zajac erlaubt, seine chirurgische Praxis auf halbtags zu reduzieren. Er lehrte nach wie vor an der medizinischen Fakultät, aber er hatte mehr Zeit, um sich seinen Erfindungen, Rudy, Irma und (bald auch) den Zwillingen zu widmen. »Sie sollten sich Kinder zulegen«, sagte Zajac zu Wallingford, während er das Licht in seiner Praxis ausmachte und die beiden Männer im Dunkeln unbeholfen gegeneinanderstießen. »Kinder krempeln Ihr Leben um.«
Wallingford erwähnte zögernd, wie sehr er sich wünsche, eine Beziehung zu Otto junior aufzubauen. Ob Dr. Zajac ihm einen Rat geben könne, wie man eine Verbindung zu einem kleinen Kind herstelle, besonders zu einem Kind, das man eher selten sehe?
»Vorlesen«, erwiderte Dr. Zajac. »Es gibt nichts Besseres. Fangen Sie mit Klein Stuart an, und versuchen Sie's dann mit Wilbur und Charlotte.« »An die Bücher kann ich mich noch erinnern!« rief Patrick. »Klein Stuart habe ich geliebt, und ich weiß noch, daß meine Mutter immer geweint hat, wenn sie mir Wilbur und Charlotte vorlas.«
»Leuten, die Wilbur und Charlotte lesen, ohne zu weinen, gehört das Gehirn amputiert«, antwortete Zajac. »Wie alt ist der kleine Otto denn?« »Acht Monate«, antwortete Wallingford.
»Aber dann hat er ja gerade erst zu krabbeln angefangen«, sagte Dr. Zajac. »Warten Sie, bis er sechs oder sieben ist - Jahre, meine ich. Mit acht oder neun wird er Klein Stuart und Wilbur und Charlotte selbst lesen, aber um sich die Geschichten anzuhören, ist er schon früher alt genug.« »Sechs oder sieben«, wiederholte Patrick. Wie konnte er so lange damit warten, um eine Beziehung zu Otto junior aufzubauen? Nachdem Zajac seine Praxis abgeschlossen hatte, fuhren er und Patrick mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Der Arzt erbot sich, seinen Patienten ins Hotel zurückzufahren, da es auf seinem Nachhauseweg lag, und Wallingford nahm dankbar an. Erst aus dem Autoradio erfuhr der berühmte Fernsehjournalist endlich von Kennedys vermißtem Flugzeug. Mittlerweile war das für jeden außer Wallingford praktisch ein alter Hut. jfk jr. war zusammen mit seiner Frau und seiner Schwägerin auf dem Meer verschollen und wurde für tot gehalten. Der junge Kennedy, ein relativ unerfahrener Pilot, hatte das Flugzeug selbst gesteuert. Es war die Rede von dem Nebel über Martha's Vineyard am Abend zuvor. Man hatte Gepäckanhänger gefunden; später würden die Gepäckstücke auftauchen, dann die Trümmer des Flugzeuges selbst.
»Ich denke, es wäre besser, wenn man die Leichen fände«, bemerkte Zajac. »Ich meine, besser als die Spekulationen, falls sie nie gefunden werden.«
Genau diese Spekulationen sah Patrick voraus, egal, ob man die Leichen fand oder nicht. Sie würden mindestens eine Woche lang anhalten. Die kommende Woche hätte sich Patrick beinahe für seinen Urlaub ausgesucht. Nun wünschte er, er hätte es getan. (Er hatte beschlossen, statt dessen eine Woche im Herbst zu beantragen, am besten dann, wenn die Green Bay Packers ein Heimspiel im Lambeau Field hatten.) Er kehrte wie ein Verdammter ins ›Charles‹ zurück. Er wußte, wie die Nachrichten, die keine Nachrichten waren, die ganze nächste Woche aussehen würden; es war der Inbegriff dessen, was an Patricks Beruf am abscheulichsten war, und er würde daran beteiligt sein. Der »Leidenskanal« hatte die Frau beim Frühstück gesagt, aber die absichtliche Erzeugung öffentlicher Trauer war wohl kaum ein Monopol des Senders, bei dem Wallingford arbeitete. Die übertriebene Aufmerksamkeit für den Tod war beim Fernsehen so alltäglich geworden wie die Berichterstattung über schlechtes Wetter; Tod und schlechtes Wetter waren das, was das Fernsehen am besten konnte.
Ob man die Leichen nun fand oder nicht und ganz gleich wie lange es dauern mochte, sie zu finden - ob mit oder ohne das, was zahllose Journalisten »Abschluß« nennen würden -, es würde keinen Abschluß geben. Jedenfalls so lange nicht, bis jeder von einem Kennedy geprägte Moment der jüngeren Geschichte noch einmal durchlebt worden war. Und das Eindringen in die Privatsphäre der Familie Kennedy war dabei keineswegs der häßlichste Aspekt. Von Patricks Standpunkt aus bestand das Hauptübel darin, daß es keine Nachricht war - es war ein wiederaufbereitetes Melodrama.
In Patricks Hotelzimmer im
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