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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sicherheitsschleuse passiert und befanden sich im Fahrstuhl zum Nachrichtenstudio -, berührte Mary seinen linken Oberarm knapp oberhalb der fehlenden Hand samt Handgelenk auf jene mitfühlende Weise, nach der offenbar so viele Frauen süchtig waren. »An deiner Stelle, Pat«, vertraute sie ihm an, »würde ich mir wegen Fred keine Sorgen machen. Ich würde keinen weiteren Gedanken auf ihn verschwenden.«
    Zuerst glaubte Wallingford, die Frauen im Nachrichtenstudio wären deshalb aus dem Häuschen, weil er und Mary zusammen gekommen waren; zweifellos hatte mindestens eine sie am Vorabend auch zusammen weggehen sehen. Jetzt wußten sie alle Bescheid. Aber Fred war gefeuert worden - das war der Grund für das aufgeregte Geplapper der Frauen. Daß Mary über die Neuigkeit nicht geschockt war, überraschte Wallingford nicht. (Mit einem ganz knappen Lächeln zog sie sich in die Damentoilette zurück.)
    Daß er nur von einer Produzentin und einem Direktor begrüßt wurde, überraschte ihn allerdings schon. Letzterer war ein mondgesichtiger junger Mann namens Wharton, der stets so aussah, als kämpfe er gegen einen Brechreiz an. War Wharton wichtiger, als Wallingford geglaubt hatte? Hatte er auch ihn unterschätzt? Plötzlich erschien ihm Whartons Harmlosigkeit potentiell gefährlich. Der junge Mann hatte etwas Geist- und Ausdrucksloses, wohinter sich die Befugnis verbergen könnte, Leute zu feuern - sogar Fred, sogar Patrick. Aber Whartons einzige Anspielung auf Wallingfords kleinen Aufstand in der Donnerstagabendsendung und Freds darauffolgenden Rausschmiß bestand darin, daß er (zweimal) das Wort »unglücklich« äußerte. Dann ließ er Patrick mit der Produzentin allein.
    Wallingford wußte nicht recht, was das zu bedeuten hatte - warum hatten sie nur eine Produzentin geschickt? Wen sie dafür ausgeguckt hatten, war allerdings vorauszusehen; sie hatten sie schon öfter eingesetzt, wenn sie den Eindruck hatten, Wallingford brauche ein paar aufmunternde Worte oder müsse sonstwie instruiert werden. Sie hieß Sabina und hatte sich hochgearbeitet; vor Jahren hatte sie zu den Frauen im Nachrichtenstudio gehört. Patrick hatte mit ihr geschlafen, aber nur ein einziges Mal - als sie viel jünger und noch mit ihrem ersten Mann verheiratet gewesen war.
    »Für Fred wird's wohl eine Zwischenlösung geben. Sozusagen einen neuen Dicktuer. Einen neuen Nachrichtenredakteur ...«, spekulierte Wallingford.
    »Ich würde diese Personalentscheidung an deiner Stelle nicht als Zwischenlösung bezeichnen«, mahnte Sabina ihn. (Wie Mary, fiel Patrick auf, stand sie auf die Wendung »an deiner Stelle«.) »Diese Entscheidung hat sich schon lange abgezeichnet, und von ›Zwischenlösung‹ kann überhaupt keine Rede sein.«
    »Bist du es, Sabina?« fragte Wallingford. (War es Wharton?, dachte er.) »Nein, es ist Shanahan.« In Sabinas Stimme lag nur ein Anflug von Bitterkeit.
    »Shanahan?« Der Name sagte Wallingford nichts. »Für dich Mary«, sagte Sabina zu ihm.
    So hieß sie also! Nicht einmal jetzt erinnerte er sich. Mary Shanahan! Er hätte es wissen müssen.
    »Viel Glück, Pat. Wir sehen uns dann in der Ablaufbesprechung«, sagte Sabina nur noch. Sie ließ ihn mit seinen Gedanken allein, aber das blieb er nicht lange.
    Als Wallingford sich zur Besprechung einfand, waren die Frauen aus dem Nachrichtenstudio schon da, so wachsam und nervös wie junge Hunde. Eine von ihnen schob Patrick über den Tisch hinweg ein Memo zu; das Blatt flog ihr geradezu aus der Hand. Auf den ersten Blick hielt er es für eine Pressemitteilung über das, was er bereits wußte, doch dann sah er, daß man Mary - zusätzlich zu ihren Aufgaben als neue Nachrichtenredakteurin - auch noch zur Produzentin der Sendung gemacht hatte. Deswegen war Sabina bei ihrer Begegnung vorhin wohl auch so wortkarg gewesen. Sie war zwar auch Produzentin, doch nun hatte es den Anschein, als wäre sie nicht mehr so wichtig wie noch vor Marys Beförderung.
    Was Wharton anging, so sagte der mondgesichtige Direktor bei Ablaufbesprechungen niemals etwas. Wharton gehörte zu den Leuten, die sämtliche Bemerkungen von der höheren Warte nachträglicher Erkenntnis aus machen - Kommentare gab er immer nur im nachhinein ab. Er kam nur zu den Ablaufbesprechungen, um zu erfahren, wer für Patrick Wallingfords Text vor der Kamera verantwortlich war. Aus diesem Grund konnte man unmöglich wissen, wie wichtig oder unwichtig Wharton war. Als erstes gingen sie das ausgewählte Filmmaterial durch.

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