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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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in die Maske. Rückblickend gab es mittlerweile nur noch ein Gespräch mit Mary, das er nicht bereute. Als sie im Morgengrauen zum zweiten Mal miteinander geschlafen hatten, hatte er ihr von seiner plötzlichen, unerklärlichen Begierde nach der Maskenbildnerin erzählt. Mary hatte diese Regung scharf mißbilligt. »Du meinst doch wohl nicht Angie, oder, Pat?«
    Er hatte nicht gewußt, wie die Maskenbildnerin hieß. »Die eine, die ständig Kaugummi kaut -«
    »Das ist Angiel« hatte Mary gerufen. »Die ist doch völlig verkorkst!« »Mich macht sie jedenfalls an. Ich kann dir auch nicht sagen, wieso. Vielleicht liegt's am Kaugummi.« »Vielleicht bist du auch bloß geil, Pat.«
    »Vielleicht.«
    Das war alles gewesen. Dann, während sie quer durch die Stadt zu dem Cafe in der Madison spazierten, war Mary unvermittelt herausgeplatzt: »Angie! Mein Gott, Pat - die Frau ist ein Witz! Sie wohnt noch bei ihren Eltern. Ihr Vater ist Verkehrspolizist oder so was. In Queens. Sie kommt aus Queensl«
    »Wen interessiert denn, wo sie herkommt?« hatte Patrick gefragt. Rückblickend fand er es merkwürdig, daß Mary ein Kind von ihm wollte, seine Wohnung wollte, ihn darüber beraten wollte, wie er sich am vorteilhaftesten feuern lassen konnte; alles in allem schien sie (bis zu einem gewissen, sorgfältig kalkulierten Grad) wirklich seine Freundin sein zu wollen. Sie wollte sogar, daß in Wisconsin alles für ihn klappte - d. h. sie hatte, soweit Wallingford feststellen konnte, keinerlei Eifersucht auf Mrs. Clausen an den Tag gelegt. Und doch bekam sie beinahe einen Schlaganfall, als sie hörte, daß er auf eine Maskenbildnerin scharf war. Wieso? Er saß auf dem Schminksessel und dachte an den Erregungsfaktor, während sich Angie an seinen Krähenfüßen und (heute besonders) den dunklen Ringen unter seinen Augen zu schaffen machte. »Letzte Nacht wohl nicht viel Schlaf abgekriegt, was?« fragte sie ihn unter heftigem Kauen. Sie hatte den Kaugummi gewechselt; am Abend davor hatte sie nach Minze gerochen - an diesem Abend kaute sie irgend etwas Fruchtiges.
    »Leider nein. Wieder eine schlaflose Nacht«, erwiderte Patrick. »Warum können Sie denn nicht schlafen?« fragte Angie. Wallingford runzelte die Stirn; er dachte nach. Wie weit sollte er gehen? »Runzeln Sie nicht so die Stirn. Schön entspannen!« sagte Angie zu ihm. Sie tupfte ihm mit ihrem weichen kleinen Pinsel den fleischfarbenen Puder auf die Stirn. »Warum können Sie denn nicht schlafen? Wollen Sie's mir nicht sagen?«
    Ach, was soll's! dachte Patrick. Falls Mrs. Clausen ihn abwies, konnte man das Ganze sowieso abhaken. Und wenn er gerade seine Chefin geschwängert hatte - na und? Er hatte bereits irgendwann während der Ablaufbesprechung beschlossen, nicht die Wohnung mit ihr zu tauschen. Und wenn Doris ja sagte, wäre das sein letzter Abend als freier Mann. Daß einer Selbstverpflichtung zu einem monogamen Leben sexuelle Anarchie vorausgehen kann, ist ja nicht ganz unbekannt. Das war der alte Patrick Wallingford - seine Zügellosigkeit machte sich wieder geltend. »Ich kann nicht schlafen, weil ich ständig an dich denken muß«, bekannte Wallingford. Die Maskenbildnerin hatte gerade die Hand gespreizt und glättete mit Daumen und Zeigefinger die von ihr so genannten »Lachfältchen« an seinen Mundwinkeln. Er spürte, wie ihre Finger auf seiner Haut erstarrten, als wäre ihre Hand plötzlich abgestorben. Ihr Unterkiefer klappte herunter; ihr Mund blieb mitten in der Kaubewegung offenstehen. Angie trug einen enganliegenden, kurzärmeligen Sweater in der Farbe von Orangenbrause. An einer Kette um ihren Hals hing ein Siegelring, offenbar der eines Mannes und so schwer, daß er sich zwischen ihre Brüste geschoben hatte. Selbst ihre Brüste hörten auf, sich zu bewegen, während sie den Atem anhielt; alles hatte aufgehört. Schließlich atmete sie wieder - ein langes, nach dem Kaugummi duftendes Ausatmen. Patrick konnte sein Gesicht im Spiegel sehen, nicht aber ihres. Er blickte auf ihre angespannten Halsmuskeln; ein, zwei Strähnen ihres pechschwarzen Haars hatten sich gelöst. Die Träger ihres BHs zeichneten sich unter dem orangefarbenen Sweater ab, der über den Bund ihres engen schwarzen Rocks hochgerutscht war. Sie hatte olivefarbene Haut und dunkles, flaumig wirkendes Haar auf den Armen. Angie war erst etwas über zwanzig. Daß sie noch bei ihren Eltern wohnte, hatte Patrick nicht weiter geschockt. Das taten in New York viele berufstätige junge Frauen. Eine

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