Die vierte Hand
hochgeschnellt. Wie die Maskenbildnerin - beim bloßen Gedanken an sie bekam Wallingford in Marys Bett unerwartet einen Steifen - glaubte auch das Fernsehpublikum, daß es »Zeit war, sich anderem zuzuwenden«. Wallingfords Vorstellung von sich selbst und seinen Kollegen - daß sie »etwas Würde zeigen« und »einfach aufhören« sollten - hatte unmittelbar einen Publikumsnerv getroffen. Anstatt dafür zu sorgen, daß er gefeuert wurde, hatte sich Patrick Wallingford vielmehr beliebter denn je gemacht.
Er hatte immer noch einen Ständer, als im Morgengrauen ein Boot auf dem East River obszön tutete. (Wahrscheinlich schleppte es einen Müllprahm.) Patrick lag in dem rosa überhauchten Zimmer, das die Farbe von Narbengewebe trug, auf dem Rücken. Seine Erektion wölbte die Bettdecke. Wie Frauen dergleichen merkten, würde er nie begreifen; er spürte, wie Mary die Sofapolster vom Bett trat. Er hielt sich an ihren Hüften fest, während sie sich auf ihn setzte und draufloswippte. Dabei drang das Tageslicht ins Zimmer; das scheußliche Rosa begann zu verblassen. »Dir zeig ich ›testosteronbestimmt‹«, flüsterte ihm Mary zu, kurz bevor er kam. Es machte nichts, daß ihr Atem schlecht roch - sie waren Freunde. Es war bloß Sex, genauso freimütig und vertraulich wie ein Händedruck. Eine seit langem bestehende Schranke war gefallen. Der Sex war eine Belastung gewesen, etwas, das zwischen ihnen gestanden hatte; jetzt war es keine große Affäre mehr.
Mary hatte nichts zu essen in ihrer Wohnung. Sie hatte hier noch nie etwas gekocht oder auch nur gefrühstückt. Jetzt wo sie ein Kind bekomme, erklärte sie, würde sie anfangen, sich nach einer größeren Wohnung umzusehen.
»Ich weiß, daß ich schwanger bin«, zirpte sie. »Ich spüre das.« »Möglich ist es auf jeden Fall«, sagte Patrick nur. Sie machten eine Kissenschlacht und jagten einander nackt durch die Wohnung, bis sich Wallingford in dem paisleygemusterten Durcheinander des Wohnzimmers an der Glasplatte des Couchtisches das Schienbein stieß. Dann duschten sie zusammen. Patrick verbrannte sich am Heißwasserhahn, während sie einander unter heftigen Verrenkungen Brust an Brust einseiften.
Sie machten einen langen Spaziergang zu einem Cafe, das sie beide mochten - es lag in der Madison Avenue, irgendwo auf Höhe der Sixties oder Seventies. Wegen des ohrenbetäubenden Straßenlärms mußten sie sich den ganzen Weg über brüllend unterhalten. Als sie das Cafe betraten, brüllten sie immer noch, wie Leute, die schwimmen waren und nicht wissen, daß sie Wasser in den Ohren haben. »Jammerschade, daß wir einander nicht lieben«, sagte Mary viel zu laut. »Dann müßtest du dir nicht in Wisconsin das Herz brechen lassen, und ich müßte dein Kind nicht ganz allein kriegen.«
Die anderen Frühstücksgäste schienen zu bezweifeln, daß das vernünftig war, aber Wallingford pflichtete ihr törichterweise bei. Er erzählte Mary, was er sich für Doris zurechtgelegt hatte. Mary runzelte die Stirn. Sie machte sich Sorgen, daß es unaufrichtig klang, wenn er behauptete, er lege es darauf an, seinen Job zu verlieren. (Was die andere Sache anging - daß er ein Kind mit ihr gezeugt und unmittelbar danach seine ewige Liebe zu Doris Clausen erklärt hatte -, sagte Mary nicht, was sie wirklich meinte.)
»Hör zu«, sagte sie. »Dein Vertrag läuft noch wie lange, achtzehn Monate. Wenn sie dich jetzt feuern, werden sie versuchen, dich herunterzuhandeln. Du würdest dich wahrscheinlich damit zufriedengeben, daß sie dir nur ein Jahresgehalt Abfindung zahlen. Wenn du in Wisconsin leben willst, brauchst du vielleicht länger als ein Jahr, um einen neuen Job zu finden - ich meine einen, der dir gefällt.«
Jetzt war es an Patrick, die Stirn zu runzeln. Sein Vertrag lief noch genau achtzehn Monate, aber woher wußte Mary das?
»Außerdem«, fuhr Mary fort, »werden sie dich nur ungern feuern, solange du Moderator bist. Nach außen hin muß es nämlich so aussehen, als ob derjenige, der auf diesem Stuhl sitzt, für jedermann erste Wahl ist.« Erst jetzt kam es Wallingford in den Sinn, daß Mary womöglich selbst an dem von ihr so genannten Stuhl interessiert war. Er hatte sie bislang unterschätzt. Die Frauen des New Yorker Nachrichtenstudios waren keine Dummchen; Patrick hatte bei ihnen ein gewisses Ressentiment gegen Mary wahrgenommen. Er hatte geglaubt, es läge daran, daß sie die Jüngste, Hübscheste, Gewiefteste und vermeintlich Netteste war - daß sie womöglich
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