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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gab, was Patricks Frisur brauchte. Manchmal besprühte sie ihn mit ein bißchen Haarspray oder massierte ihm etwas Gel ein; diesmal tätschelte sie ihm bloß den Kopf und ging wieder aus dem Zimmer. »Weißt du auch genau, worauf du dich da einläßt?« fragte Angie. »Ich hab ein ziemlich kompliziertes Leben«, warnte sie ihn. »Ich hab reichlich Probleme, wenn du verstehst, was ich meine.« »Was meinst du denn, Angie?« »Wenn wir heute abend ausgehen wollen, muß ich noch einiges abblasen«, sagte sie. »Als allererstes muß ich mal ein paar Anrufe erledigen.« »Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen, Angie.« Sie durchwühlte ihre Handtasche - nach Telefonnummern, vermutete Patrick. Falsch, sie suchte nach Kaugummi. »Hör zu« - sie kaute wieder -, »willst du jetzt heute abend ausgehen oder was? Es macht keine Schwierigkeiten. Ich muß bloß ein paar Anrufe erledigen.« »Ja, heute abend«, erwiderte Patrick.
    Und warum auch nicht, warum nicht heute abend? Er war nicht nur nicht mit Mrs. Clausen verheiratet, sondern sie hatte ihn auch in keiner Weise ermutigt. Er hatte keinen Grund zu der Annahme, daß er je mit ihr verheiratet sein würde; er wußte nur, daß er sie darum bitten wollte. Unter den gegebenen Umständen war sexuelle Anarchie sowohl verständlich als auch lobenswert. (Für den alten Patrick Wallingford, versteht sich.) »Du hast ja wohl Telefon zu Hause«, sagte Angie. »Gib mir mal lieber die Nummer. Ich geb sie auch niemandem, wenn's nicht sein muß.« Er schrieb ihr gerade seine Nummer auf, als dieselbe Frau aus dem Nachrichtenstudio erneut in der Tür erschien. Sie sah, wie der Zettel den Besitzer wechselte. Das wird ja immer besser, dachte Wallingford. »Noch zwei Minuten, Pat«, sagte die aufmerksame Frau zu ihm. Mary wartete im Aufnahmestudio auf ihn. Sie hielt ihm die von einem Papiertuch bedeckte Hand hin. »Raus mit dem Kaugummi, Blödmann«, sagte sie nur. Es bereitete Patrick kein geringes Vergnügen, den schlüpfrigen lila Klumpen auf ihrer Hand zu deponieren.
    »Guten Abend«, begann er die Freitagssendung etwas förmlicher als sonst. »Guten Abend« stand nicht auf dem Prompter, aber Wallingford wollte soviel unaufrichtigen Ernst wie möglich vermitteln. Schließlich wußte er, wieviel Unaufrichtigkeit hinter dem stand, was er als nächstes sagen mußte. »Es scheint bestimmte Tage, ja Wochen zu geben, wo wir in die unangenehme Rolle des Unglücksboten gedrängt werden. Wir wären lieber Freunde, die Trost spenden, als Unglücksboten, doch diese Woche war eben eine dieser Wochen.«
    Er war sich bewußt, daß seine Worte genauso hohl und verlogen klangen, wie es seiner Absicht entsprach. Als das Filmmaterial eingespielt wurde und er ausgeblendet war, schaute er nach Mary, aber sie war, wie Wharton, schon gegangen. Der Film zog sich - er hatte das Tempo eines überlangen Gottesdienstes. Man brauchte kein Genie zu sein, um die Einschaltquoten für diese Sendung vorauszuahnen. Endlich kam das überflüssige Bild von Caroline Kennedy Schlossberg, wie sie ihren Sohn vor dem Teleobjektiv abschirmte; als das Bild zum Standfoto erstarrte, bereitete sich Patrick auf seine Schlußbemerkungen vor. Es war genug Zeit für das übliche »Gute Nacht, Doris. Gute Nacht, mein kleiner Otto.« Oder etwas von entsprechender Länge. Zwar hatte Wallingford kaum das Gefühl, Mrs. Clausen untreu zu sein, da sie kein Paar waren, aber er empfand es trotzdem als leichten Verrat an seiner Liebe - freilich nur, falls er bei seinem üblichen Gruß an sie und ihren Sohn bliebe. Im Bewußtsein dessen, was er vergangene Nacht mit Mary gemacht hatte, und bei dem Gedanken an das, was die vor ihm liegende Nacht mit Angie versprach, hatte er keine Lust, auch nur Mrs. Clausens Namen auszusprechen.
    Außerdem wollte er noch etwas anderes sagen. Als der Film schließlich endete, blickte er genau in die Kamera und erklärte: »Hoffen wir, daß es damit zu Ende ist.« Es war genauso lang wie sein Gruß an Doris und Otto junior, doch ohne Pause für einen Punkt - von dem eingesparten Komma ganz zu schweigen. Tatsächlich dauerte es nur drei anstatt vier Sekunden, diesen Satz zu sprechen; Patrick wußte das, weil er es gestoppt hatte.
    Zwar rettete Wallingfords Schlußbemerkung die Einschaltquoten nicht, aber die Abendnachrichten bekamen deswegen eine gute Presse. Ein Kommentar in der New York Times, der auf eine ätzende Kritik an der Fernsehberichterstattung über jfk jr.s Tod hinauslief, lobte Patrick für das,

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