Die vierte Todsuende
sich darin Misstrauen, Eifersucht, Verfolgungswahn, Depression oder was immer äußern. Man kann nämlich zuvor für ganz normal gehaltene Dinge meist auch völlig anders sehen. Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Mr. Delaney? Die Äußerungen menschlicher Gefühle sind ungemein schwer zu analysieren. Sie können nahezu alles bedeuten, was man in sie hineinlegt; das eine Mal unverstellt und aufrichtig, das andere Mal tückisch und hinterlistig.«
»Ich verstehe Sie, Doktor, ich teile sogar Ihre Ansicht. Wenn wir das aber alles sehen und auch jeden Vorbehalt machen, könnten Sie dann noch sagen, Ihrer Meinung nach hatte Mrs. Ellerbee keinerlei Ahnung von dem Fehltritt ihres Mannes?«
»Nein, das könnte ich nicht.«
»Könnten Sie noch einen Schritt weitergehen und sogar sagen, Ihre Beobachtungen lassen eher den Schluss zu, sie könnte davon gewusst haben?«
»Ich schließe das nicht völlig aus«, sagte Samuelson vorsichtig.
Delaney seufzte, denn er wusste: Mehr bekomme ich aus ihm nicht heraus.
»Doktor, Mrs. Ellerbee macht auf mich den Eindruck einer sehr beherrschten Frau, die sich stets in der Gewalt hat. Stimmen Sie mir darin zu?«
»Unbedingt.«
» Haben Sie sie je unbeherrscht gesehen?«
»Ein einziges Mal. Und zwar einer Lappalie wegen. An einem Wochenende in Brewster im vergangenen Jahr. Es war im Herbst und schon ziemlich kühl. Simon nahm die Mahlzeiten gern im Freien und wollte im Patio Steaks grillen. Diane fand es draußen zu kalt, sie verlangte, dass drinnen gegessen werde. Das führte zu einem wütenden Streit, aus dem ich mich heraushielt, wie Sie sich vorstellen können. Sie gerieten sich ziemlich schlimm in die Haare und sprachen Dinge aus, die sie später bestimmt gern zurückgenommen hätten. Schließlich packte Diane die Steaks und warf sie in den Bach. Das war das Ende unseres Steak-Essens. Immerhin war damit die Atmosphäre gereinigt, und wir konnten dann alle drei wieder lachen. Stau des Steaks aßen wir Thunfisch aus der Dose.«
»Drinnen oder draußen?«
»Drinnen. Das ist das einzige Mal, dass ich Diane wirklich die Beherrschung verlieren sah. Und ich gebe zu, ihr Jähzorn machte mir Angst.«
»Ich erinnere mich, dass sie auf die Frage, ob sie je von Patienten angegriffen worden sei, sagte, ihre Patienten seien meist Kinder, doch falls mal eines aggressiv werde, schlage sie zurück. Ist das in solchen Situationen üblich?«
Dr. Samuelson zuckte die Achseln. »Für mich wäre diese Technik ungeeignet, aber wenn sie hilft…, Psychoanalyse ist keine exakte Wissenschaft…«
»Das habe ich bereits gelernt. Noch eine letzte, sehr persönliche Frage, Doktor: Haben Sie Mrs. Ellerbee jemals gebeten, Sie zu heiraten?«
Samuelson schaute ihn befremdet an. »Ich glaube, Sie sind in der falschen Branche, Mr. Delaney. Sie sollten an meiner Stelle sitzen.«
» Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Die Antwortet lautet: Ja, ich habe sie gefragt und sie sagte, nein, sie will nicht.«
»Eine sehr unabhängige Frau«, bemerkte Delaney Samuelson nickte nur.
Auf dem Heimweg überlegte Delaney, was dieses Gespräch erbracht hatte. Ziemlich wenig. Die Geschichte von den ins Wasser geworfenen Steaks gefiel ihm: Vergangenen Herbst die Steaks, in diesem Herbst der Treibhammer.
Eine Frage allerdings hatte er noch nicht stellen dürfen, und das wurmte ihn; sie hätte gelautet: »Doktor Samuelson, glauben Sie, dass Diane Ellerbee ihren Mann erschlagen hat?« Samuelson wäre außer sich geraten und hätte Mrs. Ellerbee telefonisch gewarnt, kaum dass Delaney gegangen wäre. Noch war es besser, wenn sie sich in der Zuversicht wiegte, nicht unter Verdacht zu stehen. Umso größer würde dann der Schock sein.
Ihm wurde blitzartig klar, dass er jetzt das gesamte belastende Material beisammen hatte - mehr würde es nicht geben. Es war also an der Zeit, den letzten Zug zu tun. Nicht, weil Thorsen das Jahresende als letzten Termin bezeichnet hatte -, auch wenn dies bei seinen Überlegungen natürlich ebenfalls eine Rolle spielte -, sondern weil die Ermittlungen definitiv an ihr Ende gelangt waren. Es würde keine plötzliche, glatte Lösung des Mordfalles Ellerbee geben, der Mörder nicht gefasst und überführt werden. Delaney würde sich mit einer halben Lösung begnügen müssen. Doch wäre dies keineswegs das erste Mal, überlegte er düster, und er würde es verwinden. Alles auf einmal ging nicht, und etwas war immerhin mehr als nichts.
Es kam nun darauf an, alle Beteiligten bei
Weitere Kostenlose Bücher