Die vierte Todsuende
Hundemarke habe. Es läuft also darauf hinaus, dass zwei Leute es mit sechs Verdächtigen zu tun haben. Hätten wir reichlich Zeit zur Verfügung, wäre das weiter nicht schlimm, aber Thorsen will bis spätestens Ende des Jahres den Fall aufklären.«
»Na, dann bitte ihn doch einfach, mehr Personal für dich abzustellen.«
»Ich weiß zwar nicht, wie Suarez darauf reagieren würde. Zwar hat er mir jede erdenkliche Unterstützung zugesichert, aber ich habe so ein Gefühl, er betrachtet mich immer noch als Konkurrenten.«
»Dann bitte nicht Ivar um mehr Leute, sondern Suarez. Dann ist er unmittelbar beteiligt. So kann er sich einen Teil des Verdienstes zuschreiben, wenn du den Mordfall aufklärst.«
Er betrachtete sie nachdenklich. »Dass ich eine große Schönheit geheiratet habe, war mir schon immer klar. Jetzt stellt sich heraus, dass du nicht nur schön bist, sondern auch ausnehmend gescheit.«
Sie rümpfte die Nase. »Das merkst du erst jetzt? Geh, ruf Suarez gleich an.«
»Dafür ist es zu spät, ich würde bloß die Kinder wecken. Morgen früh reicht auch noch. Jetzt muss ich noch mein Pensum erledigen; geh schon zu Bett, warte nicht auf mich.«
Er erhob sich mühsam und watschelte schwerfällig zu ihr, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. Mit dem Glas in der Hand verzog er sich daraufhin in sein Arbeitszimmer und machte die Verbindungstür zu, um ungestört zu sein, falls seine Frau noch fernsehen wollte.
Er ließ sich am Schreibtisch nieder, setzte die Lesebrille auf und nahm sich die Liste vor, die er von Mrs. Ellerbee bekommen hatte. Als er sie durchgelesen hatte, las er gleich noch ein zweites Mal. In ihren Notizen war mehr enthalten als das, was sie ihm und Boone gesagt hatte. Die sechs Krankheitsbeschreibungen zeigten, dass es sich bei den Patienten um schwer gestörte Personen handelte, die außerstande waren, ihre Aggressionen zu beherrschen. Delaney bekam bei der Lektüre den Eindruck, dass jede dieser sechs Personen Gefahr lief, sich jederzeit zu einer Gewalttat hinreißen zu lassen.
Er lehnte sich zurück und stieß behutsam mit dem Rande des Whiskyglases gegen die Zähne. Das machte ein leises ›Bing‹. Er fragte sich, wie der ermordete Ellerbee es ausgehalten haben mochte, jahrelang Patienten zu behandeln, deren Denkprozesse nur als chaotisch bezeichnet werden konnten.
Vermutlich, so dachte er, hat Ellerbee sich gefühlt wie jemand, der in einem fremden Land unter lauter feindseligen Eingeborenen lebt, die eine ihm unverständliche Sprache sprechen, einem Land zudem, das schon rein geographisch für ihn ein Buch mit sieben Siegeln bleiben muss. Er stellte sich vor, dass jemand, der es unternimmt, in einem solchen Land zu leben, ein Opfer seiner Ratlosigkeit und Verwirrtheit werden muss; auf alle Fälle ist er genötigt, eiserne Selbstdisziplin zu üben, um vom Chaos um sich herum nicht fortgerissen zu werden.
Als er sich den Anblick des zellenartigen Sprechzimmers von Ellerbee ins Gedächtnis rief, verstand er plötzlich, warum der Psychiater das Verlangen gehabt hatte, an einem Platz zu arbeiten, der geometrisch geordnet war, mit Parallelen, die sich nicht schnitten, und rechteckigen Kanten, die ihn in dem Glauben bestärkten, dass es wirklich Ursache und Wirkung gibt, dass die Logik nicht aus der Welt verschwunden war.
11
Isaac Kane war regelmäßig mittwochs in die Klinik gegangen. Hier unterwarf man ihn endlosen Tests. Manchmal verabreichte man ihm mit Genehmigung seiner Mutter Pillen oder Tropfen, die er schlucken musste. Er musste mit Bauklötzen spielen, und das wurde auf Videokassetten aufgezeichnet. Anschließend hatte er bei Dr. Ellerbee seine Sitzung.
Kane hatte nichts dagegen, mit Ellerbee zu sprechen. Der war ein liebenswürdiger, stiller Mensch und schien sich wirklich zu interessieren für das, was Kane zu sagen hatte. Genaugenommen war Ellerbee der einzige, der Kane jemals zuhörte; seine Mutter weigerte sich, das zu tun, und andere Leute lachten ihn aus, wenn er etwas erzählen wollte. Und Kane hätte gern und viel erzählt, es drängte ihn sehr danach, sich mitzuteilen, so sehr, dass er manchmal nichts weiter als sinnloses Stottern zustande brachte, und dafür wurde er dann ausgelacht.
Seit Dr. Ellerbee nicht mehr in die Klinik kam, ging auch Kane nicht mehr dorthin. Man suchte ihn dazu zu bewegen, wie üblich mittwochs zu erscheinen, doch weigerte er sich rundheraus. Als man ihm keine Ruhe ließ, wusste er sich nicht anders zu helfen, als um sich zu
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