Die vierte Todsuende
schlagen. Danach ließ man ihn in Ruhe.
Seither verbrachte er seine Tage im Gemeindezentrum auf der 79. Straße. In der Klinik war alles weiß gewesen -was Kane sehr missfiel —, im Zentrum hingegen gab es Farben: Rosa und Grün, Blau und Gelb. Es war hier angenehm warm, und man ließ ihn ungestört seine Landschaften in Pastell malen.
Einige dieser Landschaften wurden von der Leiterin des Zentrums, einer gewissen Mrs. Freylinghausen, verkauft, und das Geld bekam Kanes Mutter. Allerdings behielt sie genug zurück, um damit für Kane eine wunderbare Schachtel Pastellfarben zu kaufen, mindestens hundert verschiedene Farbtöne, dazu eine Staffelei und Papier. Gingen seine Vorräte zu Ende, besorgte Mrs. Freylinghausen ihm neues Material — Kane verstand sich nicht gut darauf, selber Besorgungen zu machen -, und wenn das Zentrum um 21 Uhr geschlossen wurde, verwahrte sie sorgsam alle seine Sachen in einem verschließbaren Schrank.
Die meisten Besucher des Zentrums waren alte Leute; manche kamen im Rollstuhl oder an Krücken. Es gab allerdings auch jüngere, und die waren keineswegs alle nett. Sie machten Isaacs Stottern nach, stellten ihm ein Bein, stießen ihn an, wenn er malte, oder versuchten, ihm Farbstifte zu klauen. Ein Mädchen war darunter, das ihn überall betastete.
Manchmal versetzten sie ihn so sehr in Zorn, dass er zuschlagen musste. Er war kräftig, und wenn er es darauf anlegte, konnte er einen Widersacher gehörig in Bedrängnis bringen.
Eines Nachmittags - Kane hätte den Tag nicht angeben können —, suchte ihn Mrs. Freylinghausen begleitet von zwei Männern in dem Winkel auf, wo er seine Staffelei unter einem Dachfenster aufgebaut hatte. Die Männer waren beide groß; einer trug einen schwarzen Wintermantel, der andere einen grünen Parka. Beide hatten den Hut in der Hand.
»Hier sind zwei gute Bekannte von mir, Isaac, die sich für deine Bilder interessieren«, machte Mrs. Freylinghausen bekannt, »dies ist Mr. Delaney und der andere ist Mr. Boone.«
Isaac gäbe beiden folgsam die Hand, eine mit Farbe beschmierte Hand allerdings. Beide Männer sahen freundlich aus, und Mrs. Freylinghausen zog sich zurück.
Mr. Delaney eröffnete die Unterhaltung. »Wir haben einige Ihrer Landschaften angesehen, Mr. Kane, und sie gefallen uns sehr.«
»Sie sind ganz hübsch«, erwiderte Kane bescheiden. »Manchmal werden sie nicht so, wie ich möchte. Manchmal kriege ich…, ich kriege die Farben nicht richtig hin.«
» Kennen Sie Gemälde von Turner?« fragte Delaney.
»Turner? Wer ist das?«
»Ein englischer Maler. Der hat öl- und Wasserfarben benutzt. Er hat oft Landschaften gemalt, und Ihre Manier, mit dem Licht umzugehen, erinnert mich an Turner.«
»Ja, Licht!« rief Kane. »Licht ist ganz, ganz schwer!« Und weil er gern über Licht geredet hätte, begann er in seinem Übereifer zu stottern. Beide Männer verloren nicht die Geduld, sondern warteten, ohne zu unterbrechen, bis er sich soweit erholt hatte, dass er sagen konnte, was er über das Licht sagen wollte. Sie nickten verständnisvoll.
»Übrigens haben wir einen gemeinsamen Bekannten, Mr. Kane«, sagte Boone. »Sie kennen doch Mr. Ellerbee?«
»Nein, kenne ich nicht.«
»Dr. Simon Ellerbee?«
»Ah, Sie meinen Dr. Simon. Klar kenne ich den. Von der Klinik her. Aber er kommt nicht mehr hin.«
Die beiden Männer tauschten einen Blick.
Delaney sagte: »Wir haben leider schlechte Neuigkeiten für Sie, Mr. Kane. Dr. Simon Ellerbee ist umgebracht worden.«
»Ach, das ist aber schade. Er war so ein netter Mann. Ich habe mich gern mit ihm unterhalten.«
Er wandte sich wieder der Staffelei zu, auf der körniges graues Papier auf einem Stück Pappe stand. Er arbeitete gerade an einer idyllischen Landschaft mit Windmühle, Strohdachkate und munter dahinplätscherndem Bach. Am Himmel sah man im Vordergrund dicke weiße Wölken, im Hintergrund drohende Regenwolken. Die Art, wie Licht und Schatten verteilt waren, bewahrte das Bild davor, kitschig zu wirken.
»Und worüber haben Sie sich mit Dr. Simon unterhalten?« fragte Delaney.
»Ach…, alles Mögliche…«Isaac war dabei, das Bächlein mit weißer Kreide aufzuhellen. »Er hat mir ein Loch in den Bauch gefragt.«
Jetzt erkundigte sich Boone: »Können Sie sich vorstellen, wer Dr. Simon das angetan haben könnte?«
Kane schaute die beiden voll an. Sie sahen vor sich einen etwas primitiv wirkenden, aber doch recht ansehnlichen jungen Mann in fleckigem Overall, einem roten Hemd und
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