Die vierte Todsuende
diese Einwürfe der Mutter in ihren Bericht an Boone auf. Auch der maß dem keinen Wert bei, zeichnete den Bericht ab und reichte ihn an Delaney weiter, der ihn las und zu den Akten nahm.
An dem auf Thanksgiving folgenden Freitagabend beschloss Helen Venable spontan, nach Chelsea rüberzufahren und Joan Yesell einen Besuch zu machen. Sie war es einfach leid, in der Wohnung herumzusitzen und das törichte Geschwätz ihrer Mutter anzuhören.
Sie versuchte anzurufen, doch war der Anschluss besetzt, und sie fuhr einfach los. Mit ihrem kleinen Honda schlug sie die Richtung nach New York ein, denn so nennen die Bewohner von Brooklyn den Stadtteil Manhattan. Nicht, dass sie Joan Yesell etwas Besonderes zu fragen gehabt hätte, sie fühlte sich nur einsam und, wer weiß, es mochte bei einem Gespräch doch etwas herauskommen.
Zum Glück war die Mutter nicht anwesend. Joan freute sich aufrichtig über Helens Besuch. Sie kochte Tee, und es fand sich auch Gebäck. Die Unterhaltung kam mühelos zustande, nachdem Helen sich erkundigt hatte, wie es denn um die Verletzung am Handgelenk stehe?
»Ach, es ist schon viel besser. Ich kann die Finger ganz gut bewegen. Nur sollte ich dauernd einen Gummiball zusammendrücken. Der Arzt nimmt nächste Woche den Verband ab, aber danach muss ich noch eine lederne Bandage tragen.«
»Falls Ihnen wieder mal so was einfällt, rufen Sie mich bitte vorher an.«
»Ja«, hauchte Joan, »ich verspreche es.«
»Ganz bestimmt?«
»Ganz bestimmt.«
Dann kam die Rede nicht ganz unerwartet auf besitzgierige Mütter, und sie überboten einander in der Schilderung ihrer despotischen Hausdrachen. »Ich muss unbedingt eine eigene Wohnung haben«, sagte Helen, »ich gehe daheim die Wände rauf. Bloß, wovon soll ich die eine Wohnung bezahlen? Sie wissen, wie hoch die Mieten sind.«
»Ich würde auch gern ausziehen«, sagte Joan nachdenklich, und plötzlich lebhafter werdend: »Warum nehmen wir nicht zusammen eine Wohnung? Ich verdiene nicht schlecht.«
»Das ist eine Idee«, sagte die Venable vorsichtig. Sie mochte Joan, wie gesagt, gut leiden, glaubte auch, mit ihr auskommen zu können, aber abgesehen einmal davon, dass sie in diesen Mordfall verwickelt war, wenn auch nur als jemand, der überprüft werden musste: Würde Helen mit einer Frau zusammenleben können, die immerhin arg gestört war?
Beide überlegten, wo man wohnen wollte - in Manhattan -, was es für eine Wohnung sein sollte — eine mit zwei Schlafzimmern -, und wie hoch die Miete äußerstenfalls sein durfte.
»Ich brauche einen Schreibtisch, an dem ich meine Berichte auf der Maschine schreiben kann«, sagte Venable.
»Und ich will mindestens eine Katze haben.«
»Ich besitze einige Möbel. Mein Bett zum Beispiel.«
Joan sah sich in der Polsterpracht um und meinte: »Von all diesen Sachen gehört mir nichts, und selbst wenn, mitnehmen würde ich davon nichts wollen. Ich finde das alles abscheulich. Ersticken tut man darin. Da müssten Sie mal Ellerbees Haus sehen. Ein Traum.«
»Seine Praxis auch?«
»Die war …, na ja, eigentlich war sie leer. Ich meine, es fehlte nichts, aber sie war kahl. Weiß. Kalt.«
»War er auch so?«
»Nicht die Spur. Wärmherzig war er, ein gütiger Mensch.«
»Dabei fällt mit ein: Sollten wir wirklich zusammen eine Wohnung nehmen, wie halten wir es dann mit den Männern? Angenommen, ich bringe mal einen mit, hätten Sie was dagegen, wenn er über Nacht bleibt?«
Joan zögerte. »Nicht, wenn wir zwei Schlafzimmer haben. Tun Sie das oft?«
»Einen Mann mit nach Hause nehmen? Sie machen wohl Witze. Wenn ich das wagte, würde meine Mutter sofort ihr berühmtes unstillbares Nasenbluten kriegen. Nein, mit Männern war ich immer nur in deren Wohnungen zusammen, im Auto und einmal auch in einem Motel.«
Joan schwieg und senkte den Kopf. Sie berührte leicht den Verband um ihr Handgelenk. Die beiden, die Schwestern hätten sein können, saßen eine Weile schweigsam; Venable betrachtete den gesenkten Kopf der anderen. »Du bist doch keine Jungfrau mehr, Joan?« fragte sie dann leise.
»Nein nein«, sagte diese hastig. »Ich war schon mal mit einem Mann zusammen.«
»Mit einem nur?«
»Ach wo. Mit mehr als einem.«
»Aber gedauert hat es nie?«
Joan schüttelte den Kopf.
»Ja, ja, so ist das meistens. Lumpenhunde sind das.« Als sie sah, dass Joan dieses Thema deprimierte, sagte sie schnell: »Ich wollte, ich hätte deine Figur. Aber ich werde leicht dick, und das Gebäck da dürfte ich gar nicht
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