Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
Tür stand, ließ sie bedrückt die Schultern hängen. Ein Mann in feinem Gewand vor Prozessbeginn beim Richter. Sein Besuch schien den Verlauf zu erklären. Aber was bewies das schon, wenn es denn überhaupt stimmte? Wie sollten diese Erkenntnisse sie voranbringen? Missmutig schnickte Sophie einen Stein vom Weg. Keiner der Zeugen hatte auch nur etwas Greifbares zur Aufklärung des Verdachts, dass es Ungereimtheiten bei dem Prozess gegeben habe, beigetragen. Solche Vorkommnisse nach über zwanzig Jahren aufspüren zu wollen, wirkte mit einem Mal beinahe unmöglich auf sie.
Unter den letzten Strahlen der Nachmittagssonne machte sie sich auf den kurzen Weg nach Hause, über den belebten Neumarkt hinweg in die stillere Gegend am verwitterten Mühlenturm vorbei. Der Efeu, der den Turm von unten bis oben berankte, hatte sich schon bräunlich gefärbt und viele Blätter abgeworfen. Sophies Füße raschelten durch das Laub, das sie mit jedem Schritt aufwirbelte, als führe eine kleine Windhose hinein – eine beinahe kindliche Freude am Herbst, die sie pflegte. Jetzt versuchte sie, damit ihre Laune zu bessern. Als sie für einen Moment innehielt, hörte sie hinter sich die Blätter rascheln, dann eilige Schritte. Sie wandte sich um, doch die Gasse war menschenleer. Zögerlich kehrte sie zum Turm zurück und blickte um die Ecke. Niemand war zu sehen. Konnte sie sich so getäuscht haben?
Ein Schauer lief ihr über den Rücken und lähmte sie für einen Augenblick. Was mochte hier vorgehen? Wurde sie beobachtet? Und wenn ja, von wem? Hatte Augustin Recht gehabt, als er sie gewarnt hatte, dass es nicht ungefährlich sein würde, den alten Fall wieder anzugehen? Mit weit ausgreifenden Schritten lief sie weiter, sah sich von Zeit zu Zeit nervös um, bis sie den Berlich erreichte und die Tür atemlos hinter sich ins Schloss zog.
Sie ging in die Küche, um den Herd anzuheizen, doch sie konnte den Schrecken nicht abschütteln. Vermutlich war eine kleine Windböe in das Laub gefahren, oder ein Lausbube hatte ihr einen Streich gespielt. Vielleicht waren ihre Nerven einfach ein wenig angespannt – seit sie Augustin getroffen hatte, war viel geschehen.
Kaum dass sie zum Ofen geeilt war und die glimmenden Kohlen angeheizt hatte, ließ sie ein lautes Knacken zusammenzucken. Mit galoppierendem Herzen fuhr sie herum. War da jemand im Raum? Sie hielt den Atem an, lauschte und stierte in die düstere Küche. Nichts. Plötzlich knarrte die Tür, und ihr Herz setzte für einen Moment aus.
Ein Schrei entfuhr ihrem Mund.
»Sophie?« Augustin kam herein. »Du bist schon zu Hause? Das wusste ich nicht.« Er hielt inne. »Ist alles in Ordnung? Ich wollte dich nicht erschrecken. Warum schaust du mich an, als hättest du ein Gespenst gesehen?« Er half ihr auf einen Hocker.
Sophie berichtete ihm, noch immer ängstlich, von dem raschelnden Laub und ihrem Gefühl, verfolgt zu werden, dann übermannten sie vor Erleichterung die Tränen.
Augustin zog sie an sich und hielt sie fest. Seine Stimme klang grimmig. »Vielleicht hast du dich getäuscht, vielleicht aber auch nicht. Wir müssen vorsichtig sein.«
Sie schloss dankbar die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, bis der Schreck langsam abebbte. »Es geht schon wieder.«
Doch Augustin nahm die Angelegenheit sehr ernst. »Sicher ist sicher. Am besten gehst du nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr allein durch die Gassen. Ich möchte nicht, dass auch dir etwas geschieht.«
»Wieso
auch
? Was willst du damit sagen?«
»Ach nichts. Vergiss es einfach!«
Doch trotz ihrer Beunruhigung bemerkte Sophie, dass er ihr etwas verschwieg, etwas, über das er anscheinend nicht sprechen wollte. »Bleibst du noch ein bisschen bei mir?«, fragte sie. Der Gedanke, in dem Haus allein zu sein, behagte ihr nicht.
»Ich lasse dich nicht allein«, versprach er mit einem Lächeln, kam herüber und setzte sich neben sie. Als er ihr ganz beiläufig eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, musste sie feststellen, wie sehr sie seine Nähe seit ihrem Wiedersehen genossen hatte. Mit Augustin hatte sich eine Vertrautheit eingestellt, die sie nicht einmal mit Goddert geteilt hatte.
Bei diesen Gedanken senkte sie eilig den Blick. Sie sollte sich keine Hoffnungen machen. Als würde ein studierter Anwalt auch nur daran denken, sich mit einer Frau zu verbinden, die nicht einmal mehr ein gutes Kleid für die Sonntagsmesse im Schrank hängen hatte. Sie räusperte sich, um den Knoten im Hals aufzulösen.
»Dass die alte
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