Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
den geräumigen Schankraum, der nicht wie früher peinlichst gereinigt worden war. In den Ecken sammelte sich der Staub, der Bratrost war fettverklebt, und die Binsen wiesen feuchte, dunkle Flecken auf.
Augustin wurde ungeduldig. »Das hat doch alles keinen Sinn, Sophie. Wir verschwenden nur unsere Zeit.«
»Ja, doch! Sophie, die Tochter von der lieben Agnes. Natürlich erinnere ich mich«, sagte Ursel und warf dem Advokaten einen ärgerlichen Blick zu. »Kommt mir in meinem Haus nicht krumm, junger Mann!«
Er schüttelte genervt den Kopf. »Lass uns gehen.«
»Geh du schon vor zum Archiv, ich kann das auch alleine machen, Augustin.«
Ursel nickte bekräftigend. »Ja, geh nur!«
Augustin runzelte die Stirn, verbeugte sich förmlich und setzte den Hut auf. »Ich komme in deinen Laden, wenn ich fertig bin, meine Liebe.« Damit verließ er den
Kleinen Ochsen
.
Sophie wandte sich wieder Ursel zu. »Er ist ein freundlicher Herr, Ursel, du solltest nicht so harsch mit ihm sein.«
»Sind doch alle gleich, diese geschniegelten Burschen«, murmelte die Alte. »Richter, Anwälte, Schöffen, Räte. Einer wie der andere.«
»Ich möchte mit dir über den Prozess von damals sprechen, Ursel.«
»Dumme Sache, das, was passiert ist.«
Erleichtert atmete Sophie auf. Ursel schien einen lichten Moment zu haben. »Ja, Ursel. Deshalb bin ich hier. Ich möchte dich zu dem befragen, was damals geschehen ist. Du warst doch dabei. An Richter Hauser erinnerst du dich doch?«
»Natürlich erinnere ich mich an den. Das hab ich doch gesagt, oder? Ich muss auch bald vor Gericht aussagen. Es muss sein. Ich stehe zu meinem Wort: Die Frau Agnes ist eine ehrliche und freundliche Dame. Sie hat immer ein nettes Wort für mich und schimpft auch nicht, wenn die Pacht mal ein paar Tage zu spät kommt.«
Sophie seufzte leise, zwang sich aber sogleich zu einem gütigen Lächeln. »Dann erzähl doch mal. War etwas merkwürdig an Richter Hauser? Ist dir etwas aufgefallen?«
Die Alte runzelte die Stirn. »Welcher Richter war das noch gleich?«
In einem Anflug von Verzweiflung spreizte Sophie die Finger und krallte sie in den grünen Wollstoff ihres Überkleides, um ihre Ungeduld zu zügeln. »Der Richter, der meine Mutter Agnes Imhoff verurteilt hat. Ursel, bitte, versuche dich zu erinnern. Es ist wichtig! Wenn ich meiner Mutter dabei helfen will, diesen Fall noch einmal aufzurollen, dann nur mit deiner Hilfe. Ist dir damals irgendetwas komisch vorgekommen?«
Ursel starrte mit hellen, wässrigen Augen in weite Ferne, und Sophie befürchtete schon, dass sie nicht antworten würde. Dann aber erhellte sich das faltige Gesicht.
»Also, ich … ich habe mit Agnes geredet, hier, wo du jetzt sitzt. Und ich habe mit ihr gesprochen über … über die Sache mit diesem … wie hieß er noch? Clewin. Ein unangenehmer Bursche, wirklich. Sie war sehr an ihm interessiert.«
»Ursel, gut dass du dich erinnerst, aber der Richter, was war mit dem Richter?«
»Der Richter, ja …« Ursel nahm einen Zipfel ihrer Schürze in die Hand und kratzte mit dem Zeigefinger auf einem Fleck herum. »Rudolf Urban, der Zimmermann. Er hat es erzählt, als der Prozess vorbei war, weil er sich da nicht mehr wunderte, warum alles so ablief. Er hat ihn gesehen.«
»Wen hat er gesehen. Was hat er erzählt? Ursel, bitte!«
»Diesen Mann. Nicht irgendwer war das, sagte Rudolf, und er wusste, wovon er sprach. Damals hat er neben dem Haus des Richters ein Dach repariert. Da hat er ihn gesehen, den Mann in feinem Gewand, kurz bevor der Prozess begann. Es war …« Sie zögerte. Schließlich ließ sie sich auf einen Hocker am Tisch fallen und starrte Sophie unglücklich an. »Mädchen … ich glaube … ich hab’s vergessen.«
»Aber Ursel, bitte, eben hattest du doch alles im Kopf! Vielleicht versuchst du es noch einmal? Für Agnes?«, flehte sie. »Wer war dieser Mann?«
Die Alte furchte die Stirn und schwieg. Das einzige Geräusch war das Knistern der Kohlen im Herd. Dann schüttelte die Wirtin traurig den Kopf. »Es tut mir leid. Das ist so lange her. Manchmal ist alles einfach weg. Und manchmal erinnere ich mich an nichts anderes. Es tut mir so leid, Kind.« Sie legte Sophie die Hand auf den Arm und seufzte: »Es ist weg.«
»Macht nichts, Ursel«, erwiderte Sophie tapfer. »Gräm dich nicht. Du hast getan, was du konntest.« Sie bedankte sich artig für das Essen, half der Wirtin noch ein wenig beim Aufräumen und dann verabschiedete sie sich.
Als sie draußen vor der
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