Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
sich ihm sehr nahe fühlte. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass ihn etwas bewegte, doch er schwieg.
Sophie hatte die herbstliche Morgensonne auf dem Weg hierher begierig aufgesogen. Die Oktobernächte wurden schon empfindlich kalt, und die schwachen Strahlen besaßen kaum noch genug Kraft, die Erde zu wärmen. Einige eifrige Frauen im Habit säuberten die ordentlichen Reihen der Kräuterbeete zwischen den Kirsch- und Apfelbäumen und ernteten überreife Johannisbeerrispen von den Büschen. Agnes hatte Sophie und Augustin zu einer Laube geführt, in der Holzbänke zum Verweilen einluden und eine niedrige Wacholderhecke sie vor den neugierigen Blicken der Beginen schützte. Nun aber saß Sophie ihrer Mutter gegenüber, die von einem Mandat nicht wissen wollte.
»Aber warum willst du es denn nicht wenigstens versuchen? Vielleicht kommst du damit wieder zu Geld und Ehren!«, versuchte es Sophie noch einmal.
»Ehren!« Agnes Imhoff schnaubte abfällig. »Nichts kann meine Ehre bei diesen Aasfressern der Kölner Gesellschaft wiederherstellen. Sie sind damals wie die Wölfe über mich und meine Geschichte hergefallen und haben sich daran ergötzt, dass man mich zugrunde gerichtet hat.« Die einst so kraftvolle, charmante und kämpferische Frau wirkte heute unter dem Habit müde und verbittert. Der Ausdruck in ihrem schönen Gesicht, der früher so selbstbewusst gewesen war, war blass und von zarten Grameslinien gefurcht, ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Der Tochter tat der Anblick in der Seele weh.
Ein bedrückendes Schweigen breitete sich in der Laube aus, während ein Luftzug durch das Gebüsch strich. Sophie kniete sich zu Füßen der Mutter nieder, ergriff ihre kalten Hände und wärmte sie. »Mutter«, bat sie eindringlich. »Sprich zu mir. Ich weiß, dass du dich nicht gern an diese Zeit erinnerst. Doch ich begreife nicht, warum du nichts dafür tun willst, dein Hab und Gut zurückzubekommen!«
»Nur ich allein weiß, warum der Herrgott mir alles genommen hat. Ich gehöre hierher, Sophie«, entgegnete Agnes und schaute mit dunklem Blick zu Boden.
Sophie seufzte. »Dieser Ort ist nicht gut für dich. Du bist immer weniger du selbst, und von Monat zu Monat wirst du unglücklicher. All die düsteren Ecken und die hohen Mauern – das muss einem ja aufs Gemüt schlagen.«
»Besonders, weil Ihr Euch früher ja viel und gerne mit Menschen umgeben habt«, warf Augustin leise ein.
»Ja das habe ich, nicht wahr?« Die Mutter starrte in die Ferne. »Ich habe mich in die Löwengrube begeben, war gar einer von ihnen. Ein ewiges Ringen um Macht und Ansehen; eine aufgesetzte Unbekümmertheit, um den anderen zu beweisen, wie viel besser man es im Leben getroffen hat … Hier habe ich Ruhe von all dem. Ich bin versorgt, muss mich nicht mehr mit falschen Schlangen umgeben oder mir jedes Frühjahr auf Geheiß meines Mannes neue Kleider fertigen lassen, weil ich ihn sonst nicht genügend schmücke und dafür Schläge ernte.« Agnes stand auf, trat in den Eingang der Laube und blickte hinaus in den Garten, in dem die Beginen genügsam an der Bestellung der Beete arbeiteten. Sie wandte sich um und musterte Augustin prüfend. »Und Ihr wollt nun, dass ich dorthin zurückkehre? Warum? Was interessiert Euch an meinem Fall so sehr? Hofft Ihr auf das Geld, das sich vielleicht erringen lässt?«
Augustin schwieg eine Weile. Dabei rieb er sich in einer Geste, die Sophie nun schon vertraut war, die Narbe auf der rechten Wange und runzelte die Stirn. Einen Augenblick hatte sie die Befürchtung, dass sein Stolz die Überhand gewinnen würde, wie schon bei der Befragung von Ursel Rumperth. Er holte tief Luft, schien sich dann aber eines Besseren zu besinnen und gestand schließlich mit einer Falte zwischen den Brauen: »Ich verliere nicht gerne. Ich habe bislang zwei Fälle verloren, und noch immer treibt mich um, was ich hätte besser machen können. Der zweite Fall … nun, dort kann man den Ausgang nicht mehr ändern. Euer Fall aber, mein allererster Fall, obschon ich seinerzeit noch nicht einmal Advokat gewesen bin … da sieht die Lage anders aus. Warum war mein Dienstherr Mathis von Homburg so unleidig, als ich damals das Rechtsgutachten über Eure fehlende Schuldfähigkeit eingeholt und es bei Gericht vorgelegt habe, ohne ihn zu fragen? Warum hat er mich entlassen, als ich die Zeugenbefragung bei Richter Hauser beantragt habe, mit der ich beweisen wollte, wie sehr Andreas Imhoff Eure Tochter drangsalierte? Warum hat man nicht
Weitere Kostenlose Bücher