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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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sein, um sich wieder mit ihm zu versöhnen. Doch dann erblickte er hinter sich eine gebückte Gestalt in einem schwarzen Kapuzenmantel, die in der Hand einen länglichen Gegenstand hielt.
    Im Licht des Mondes schimmerte blanker Stahl.
    Augustins Herz setzte einen Moment aus. Er glaubte sich zurückversetzt in die Straßen von Bologna, wo ihm die von den Patriziern gedungene Schlägertruppe aufgelauert hatte. War das möglich? War etwa wieder jemand hinter ihm her, weil er nicht daran glauben wollte, dass Gerechtigkeit nur eine klingende Währung war?
    Der Anwalt umfasste den Knauf seines Gehstocks fester und beschleunigte seine Schritte. Auch die Schritte hinter ihm wurden jetzt merklich schneller. Als Augustin sich kurz umwandte, konnte er erkennen, dass der Unbekannte ihm mit flatternden Mantelschößen hinterhereilte. Augustin von Küffen stolperte vorwärts, er zog sein steifes linkes Bein nach, das bereits schmerzhaft zu pochen begann. Er wusste nur zu gut: Sollte der Mann hinter ihm wirklich ein Auftragsmörder sein, wäre er verloren. Warum hatte er auch noch bis Einbruch der Dämmerung im Gerichtsarchiv arbeiten müssen! Selbst gänzlich unbedarfte Bürger wagten sich um diese Zeit nicht mehr auf die Straße.
    Gerade schon wollte sich Augustin mit dem Rücken an eine Hauswand stellen und den aussichtslosen Kampf aufnehmen, als nur wenige Schritte vor ihm ein erleuchtetes Fenster auftauchte. Es gehörte zu einer Gaststätte, aus der dumpfer Lärm und der Klang einer Fiedel drangen. Atemlos rannte er auf das Licht zu und warf sich mehrmals gegen die Tür, bis sie endlich mit einem Krachen aufsprang. Ein gutes Dutzend verblüffter Gesichter starrte ihn an.
    »Einen … einen Krug Wein, bitte«, brachte der Anwalt keuchend hervor. »Und besorgt mir einen bewaffneten Nachtwächter, der mich für ein paar Münzen sicher heimbringt.«
    Als Augustin noch einmal hinaus in die kalte Dunkelheit blickte, war die gebückte Gestalt wie ein Spuk verschwunden.

KAPITEL 20

Januar – September 1556

    D er Winter kam über Köln wie ein Abgesandter der Apokalypse. Er brachte tobende Stürme, die den Schnee teils hüfthoch vor die Häuser wehten. Die Kälte war klirrend wie poliertes Eisen, und beinahe jeden Tag erfroren Bettler in den Gassen und blieben als steife, weiße Klumpen dort liegen, bis sie der Schinder mit dem Karren auf den Armenfriedhof draußen vor der Stadt fuhr. Der Rhein war zum ersten Mal seit Menschengedenken wieder zugefroren, die Kinder unten im Hafen liefen auf Knochenkufen Schlittschuh, und Tagelöhner hackten schmale Passagen für die Schiffe ins Eis.
    Auch Augustin und Sophie waren in den letzten Wochen oft unten am Hafen gewesen. Mittlerweile hatte sich in Bürgerkreisen herumgesprochen, dass der ehrgeizige und vermögende Anwalt von Küffen sich mit einer Krämerswitwe eingelassen hatte. Noch dazu mit einer, die aus der einst so reichen Familie der Imhoffs stammte und nun tief gefallen war! Das Getuschel nahm kein Ende, und so waren die beiden froh, wenn sie zwischen den vielen Schiffen am Rhein ein wenig für sich allein sein konnten. Oft spazierten sie Hand in Hand unten am Pier entlang, dort wo nur die Hafenarbeiter und andere ruppige Gesellen unterwegs waren. Hier waren sie wenigstens ungestört, keiner der einfachen Leute schien sich für sie zu interessieren.
    Augustin von Küffen hatte sein Versprechen wahr gemacht und weiter in den Archiven gestöbert. Zweimal war er sogar beim Reichskammergericht in Speyer gewesen, um dort mehr herauszufinden, aber es war, als würde er gegen Mauern rennen. Zahllose Unterlagen waren verschwunden, Zeugen gestorben oder unbekannt verzogen. Der Fall Imhoff war wie eine feste Burg, gebaut aus wasserdichten Paragraphen und Unsummen von Bestechungsgeldern.
    Wenigstens hatte ihm Sophie ihren Streit im Archiv wieder verziehen. Die wenige Zeit, die er neben seiner Arbeit als Anwalt zur Verfügung hatte, verbrachte Augustin ausschließlich mit ihr. Nur noch gelegentlich, meist tief in der Nacht, überschwemmten ihn seine düsteren Erinnerungen aus der Zeit in Bologna, doch in seinem Innersten spürte er, dass er nach all seinen Reisen, nach all den Stationen in fernen Ländern, nun endlich heimgekehrt war. Am heutigen Tag hatte er sich vorgenommen, Sophie einen Vorschlag zu machen, der ihrer beider Leben für immer verändern sollte.
    »Sophie …«, begann er zögerlich, während sie an ein paar dickbauchigen Handelsgaleeren entlangschlenderten. Es ging auf die

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