Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
nach oben brachten. Augustin war zunächst ebenso verfahren, hatte aber schnell festgestellt, dass er auf diese Weise dem Gutdünken der Archivare ausgeliefert war. Also hatte er heute Morgen beschlossen, selbst hinunter in die Keller zu steigen und sich auf die Suche zu machen. Ein Vorhaben, das er sich leichter vorgestellt hatte, als es in Wirklichkeit war. Tatsächlich konnte man sich in den vielen Gängen regelrecht verirren. Er hatte allein eine Stunde gebraucht, um die Fächer mit dem gerichtlichen Briefverkehr zu finden. Sie waren nach einzelnen Jahrzehnten geordnet und lagen in verschnürten Bündeln in den jeweiligen Kisten. Einer der jüngeren Archivare war so freundlich gewesen, Augustin die Behälter zu seinem Arbeitsplatz zu tragen. Allerdings hatte es der Bursche zu gut gemeint, so dass sich nun die Unterlagen der letzten hundert Jahre auf dem Tisch und auf dem Steinboden daneben stapelten – ein Papierberg, der drohte, jeden Augenblick umzukippen.
Augustin rieb sich müde die Augen. Noch einmal ging ihm durch den Kopf, was der alte Richter ihm vor ein paar Tagen gesagt hatte.
Die Krone wollte auch zu ihrem Recht kommen …
Konnte es tatsächlich sein, dass hohe Würdenträger den Prozess gegen Agnes Imhoff beeinflusst hatten? Nachdenklich zog er einen weiteren Stapel verschnürter Akten zu sich heran, als er leise Schritte hörte. Es war Sophie, die sich ihm lächelnd mit einem Korb näherte. Augenblicklich spürte Augustin, wie sein Herz schneller schlug.
»Wein und Käse für den hart arbeitenden Anwalt?«, fragte Sophie neckisch und hob den Korb in die Höhe. »Du siehst so blass aus, dass man dich für ein Stück dünnes Papier halten könnte.«
Augustin lächelte und räumte ein paar Pergamentrollen zur Seite. »Danke, mein Magen knurrt tatsächlich so laut, dass die Laufburschen schon einen Bogen um mich machen.« Er deutete auf den Korb, aus dem ein irdener Krug, gefüllt mit verdünntem Wein, ragte. »Wie hast du das nur an den Gerichtsdienern vorbeischmuggeln können? Eigentlich haben hier unten weder Weiber noch Wein etwas verloren.«
Sophie grinste ihn an und schob ihr grünes Wollkleid zurecht. »Ich mag nur eine einfache Krämerswitwe sein, aber ein guter Tropfen kann bei diesen Schnapsnasen immer noch Wunder wirken.«
»Ein guter Tropfen oder der tiefe Blick ins Mieder einer jungen Frau«, erwiderte Augustin lächelnd.
Sophie winkte ab. »So jung bin ich nun auch nicht mehr.« Sie setzte sich neben ihn, und Augustin musterte verstohlen ihren schlanken Hals und die grünen Augen, die immer ein wenig spöttisch zu funkeln schienen. Trotz ihrer zweiunddreißig Jahre hatte sich Sophie etwas Jugendliches bewahrt. Es war, als würde Augustin noch immer das kleine verträumte Mädchen sehen, das vor über zwanzig Jahren am Rockzipfel seiner Mutter gehangen hatte. Gleichzeitig erblickte er vor sich eine erwachsene Frau, die vom Leben gezeichnet worden war und die nun umso reifer vor ihm stand.
Eine Frau, die ich begehre?,
fuhr es Augustin durch den Kopf.
Doch er verwarf den Gedanken. Er hatte schon einmal Unglück über eine Frau gebracht, die ihm nahestand. Es würde ihm kein zweites Mal passieren.
»Und? Hast du etwas herausgefunden?«
Augustin schreckte hoch und sah, dass Sophie neugierig auf den Berg von Akten deutete.
Zerstreut schüttelte er den Kopf. »Bis jetzt nur das Übliche. Allgemeine Anweisungen der Krone, Befehle, weitergeleitete Bittschreiben … Nichts, was den Fall deiner Mutter betrifft. Die Akten sind nicht besonders gut sortiert.« Er griff wahllos in den Stapel Pergamente und zog eines hervor, so dass eine Wolke Staub aufwirbelte. »Mehrere Jahrzehnte lang hat man hier einfach alles zusammengeworfen. Ich hoffe doch sehr, dass der jetzige Archivar seine Arbeit besser versieht.«
»Vielleicht ist diese Unordnung ja auch gewollt«, erwiderte Sophie und wandte sich dem wackligen Berg Kisten zu, der auf dem Steinboden stand. »Was hier einmal abgelegt wird, taucht bestimmt bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht mehr auf.« Sie fing an, in einigen der Dokumente zu blättern. Doch schon bald gab sie entnervt auf.
»Ist mir schleierhaft, wie ihr Advokaten dieses ganze Zeug lesen könnt«, schimpfte sie. »All dieses Latein, die komplizierten Fachausdrücke …«
»Es sind feste Redewendungen«, murmelte Augustin. Dankbar griff er nach dem Korb, in dem sich Käse, Brot und Wein befanden. »Es bedarf einiger Übung, aber dann ist es wie eine neue Sprache, die man erlernt
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