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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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Geburtstag.«
    »Was hast du getan, als du gehört hast, wie Richard Charman und Agnes Imhoff stritten?«
    »Oh, Hoher Rat, sie hat nicht gestritten. Sehr leise und ruhig war sie, ich konnte nicht hören, was sie sagte. Aber viel war’s ja nicht, weil er die ganze Zeit am Schelten war. Ich hab mich dann ein Stück herangeschlichen und gehört, wie er gar …« Stingin zögerte. Sie wagte nicht, das Schimpfwort auszusprechen, hier vor dem Richter und den Schöffen und den beiden Bürgermeistern. Sie zuckte die Schultern und senkte den Blick.
    »Nun?«, fragte der Richter.
    Es half ja nichts. Sie war hier, um zu sagen, was sie wusste. Und sie würde damit helfen! Eine leise Freude durchströmte sie plötzlich. Ein neues, nicht gekanntes Empfinden: das Glücksgefühl, etwas für jemanden tun zu können. Es war gut! Sie fühlte sich sogar ein bisschen stark. Also holte sie tief Luft, sah den Richter an und ergänzte: »Er nannte sie eine Hure. Sie würde sich nach dem Winde drehen und sich dem zuwenden, der das meiste Geld zu bieten hätte. Eine so ehrbare Frau derart zu beleidigen! Dieser Lügner! Wie kommt dieser Mann dazu, derlei Dinge zu behaupten? Bestimmt war meine Herrin versunken im Gebet, und da kommt diese Frevelzunge daher und stört sie auf derart unglückselige Weise, dass einem schier das Herz stehen bleibt vor Schreck! Und warum, frage ich mich? Wie kommt der englische Mann dazu, Frau Imhoff so wild anzugehen?« Stingin spürte ihr Herz noch ärger schlagen.
    »Wie ist Frau Imhoff dem begegnet?«
    »Gewiss war sie ebenso bestürzt, denn sie, die ansonsten stets freundlich ist, blieb stumm wie ein Fisch. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ich sah nur, dass sie vor dem Schmäher stand und ihn anstarrte. Dann wandte sie sich ab und ging. Ging einfach weg von ihm. Das war auch richtig so. Einer, der einer anständigen Frau solche Scheltworte an den Kopf wirft, ist keiner Antwort würdig. Man muss ja auch bedenken, dass ihr Mann kurz zuvor gestorben ist. Und sich dann so etwas gefallen lassen zu müssen!« Stingin schüttelte den Kopf und sah zu Boden. Es war zu viel gewesen für Frau Imhoff. Ganz und gar zu viel. Es drohte auch ihr zu viel zu werden, sie konnte ihr nachfühlen. All das Leid!
    »Magd Bruwiler? Was ziehst du so ein Gesicht? Gibt es etwas anzumerken?«, fragte der Richter.
    »Ich denke schon.« Sie betrachtete das Schwarz und Weiß der Bodenfliesen. So lange hatte sie geschwiegen. Und gestern Abend hatte Frau Imhoff ihr erlaubt zu reden. Es sei wichtig, um ihre Eingabe vor Gericht zu bestätigen, hatte sie gesagt.
    »Sieh gefälligst auf! Was hast du noch zu diesem Fall zu sagen?«
    Stingin spürte die vielen Augen auf sich gerichtet. Sie drehte sich zu Agnes Imhoff um, die ihr mit tränenverhangenem Blick bedeutete, endlich zu sprechen.
    »Nun?«, sagte der Richter, und seine Stimme klang sachlich.
    Jetzt endlich konnte sie ihrer Herrin für alles danken. Sie würde aussagen, wie sehr sie unter ihrem Ehemann zu leiden gehabt hatte. Alle sahen nur das wohlhabende Ehepaar, niemand wusste, was sie in Wahrheit hatte erdulden müssen.
    »Frau Imhoffs Unterschrift auf dem Schuldschein ist nicht mehr wert als der Pfotenabdruck einer Katze im nassen Sand! Gezwungen hat er sie dazu!« Sie knetete die Hände vor dem Bauch. »Immer hab ich mich an Frau Imhoffs Stärke anlehnen können. Sie war ein rettender Fels in meinem von Schrecknissen umspülten Leben. Vor allem in den ersten Jahren, da ich in deren Haus lebte, obwohl Andreas Imhoff mich meiner Herkunft wegen lieber auf die Straße gesetzt hätte. Damals hat es bereits heftigen Streit gegeben, doch seine Ehefrau hat sich schützend vor mich gestellt und gesagt: ›Das Mädchen ist ein gutes Ding. Sie wird mir zur Hand gehen. Ich lerne sie an!‹«
    Stingin schluckte, als sie sich an diese Zeit erinnerte. Frau Imhoffs Stimme hatte klar und weich geklungen – und doch voller Stärke, die keinen Widerspruch zuließ. Sicher und aufgehoben hatte sie sich da gefühlt, trotz des wütenden Blicks von Frau Imhoffs Gemahl. Umso schlimmer war es für sie gewesen, miterleben zu müssen, wie die Stimme ihrer Herrin weinerlich und brüchig geworden war, wenn ihr Mann sie im betrunkenen Zustand gedemütigt oder gar bedroht hatte. Stingin hatte es wehgetan, ihre Retterin so sehen zu müssen.
    Im Wissen, das Richtige zu tun, fuhr sie fort: »Die Streitereien wurden immer schlimmer, immer häufiger wandte ihr Gemahl Gewalt an. Ein manches Mal habe ich seine Frau

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