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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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sein?«
    Stingin nickte. »Ganz leise und vorsichtig tastete ich mich die Stiegen hinab, denn ich hatte ja kein Licht mitgenommen und es war schon dunkel. Mir war so bang, es war so still, und vielleicht waren sie … lagen sie tot in einer Ecke und ich würde noch über sie fallen! Gütiger Gott, ich hatte solche Furcht, denn wo mochte der Hausherr sein? Lag er betrunken im Sessel? Oder war er fort? Hoher Rat, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was mir alles im Kopf herum ging. Vielleicht hat er sie erschlagen und schafft die Leichen fort? Ich ging in die Küche, entzündete ein Licht und schaute umher. In der Wohnstube war niemand, auch im Schlafgemach nicht. Reglos saß ich schließlich in der Küche und wartete. Ich muss eingeschlafen sein, erwachte, als in der Früh an die Tür gepoltert wurde. Zwei Stadtbüttel standen draußen, wollten die Frau Imhoff sprechen. Ich musste weinen und sagte, ich wisse nicht, wo sie sei. Sie sagten, man habe den Andreas Imhoff tot aus dem Rhein gezogen. ›Was?!‹, rief ich. Das war ungeheuerlich, ich verstand es nicht. Und plötzlich vernahmen wir Rufe. Sie kamen aus dem Keller. So gingen wir hin und hoben die Luke – im Leben nicht wäre ich drauf gekommen, dort unten zu suchen. Man muss es sich vorstellen: Bei den Weinfässern und dem Eingemachten, dort, wohin die Ratten und Mäuse sich verziehen, dort hat die arme gute Frau unter Schmerzen die Nacht zubringen müssen, und das Kind ebenso!« Wieder musste sie die Augen reiben. »Wie sie aussah! Grün und blau hat er sie geschlagen, und der Sophie prangte eine blutige Schramme auf der blassen Stirn. Ich habe so geweint. Und dann noch die Todesnachricht! Bei allem Elend, Frau Imhoff war so entsetzt, dass sie nur stumm dastand, als wäre sie mit Lähmung geschlagen. Keinen Ton brachte sie heraus, oh, die Arme, es war zu viel. Bei all der Not, die sie mit ihm hatte, aber nun eine solche Nachricht!«
    Im Nachhall ihrer Worte hörte Stingin, wie sich jemand schnäuzte. Sie sah auf und blickte in betroffen dreinschauende Gesichter. Sie konnte nicht anders. Sie musste wissen, wie Frau Imhoff das aufnahm, und drehte sich zu ihr um. Sie saß da, die Hände im Schoß, die Augen groß und dunkel, trauerumflort. Ein sachtes Neigen des Kopfes, ein zaghaftes Lächeln, lindernd wie heilsame Salbe, denn es bedeutete ihr, dass sie richtig daran tat, all das hier so ausführlich darzustellen.
    Sie wandte sich wieder dem Richter zu. Auch er schien zufrieden mit ihrer Schilderung. »Wir haben gehört, was du zum Hergang an diesem Tag zu berichten wusstest. Wir danken dir.« Er beugte sich zu dem neben ihm sitzenden Schöffen, sie flüsterten miteinander. Stingin spürte die Blicke auf sich. Nun hatte sie den Mut, sie zu erwidern. Sie erkannte, dass ihre Aussage keineswegs bei allen Mitleid und Bestürzung hervorgerufen hatte. In einigen Mienen war Geringschätzung zu lesen. In anderen stand ganz offen die Frage, ob Agnes Imhoff angesichts all dieser häuslichen Gewalt und der Unerträglichkeit ihrer Lage nicht doch einen Mörder gedungen haben könnte, der ihren Mann aus dem Weg geräumt hatte. Dass er sie einsperrte, könnte sie absichtlich herbeigeführt haben, um nicht verdächtigt zu werden. Stingin erschrak. Sie fühlte leisen Stolz, dass sie ausgesagt hatte, was geschehen war. Aber hatte sie ihrer Herrin damit wirklich geholfen?
    Richter Hauser wandte sich mit einer selbstzufriedenen Gebärde von seinem Sitznachbarn ab und sah Stingin an. »Eine letzte Frage«, sagte er. »Sagt dir der Name
der einäugige Clewin
etwas?«
    »Nein.«
    »Demnach ist dir auch nicht bekannt, ob dieser Mann mit Agnes Imhoff Umgang pflegte?«
    »Nein. Wer soll das sein?«
    »Ein Flussschiffer.«
    »Nun, in einem Handelshaus wie dem Imhoff’schen gehen viele Leute ein und aus, und ich habe weder alle gesehen, geschweige denn sie mit Namen gekannt. Aber einer mit nur einem Auge ist mir ganz sicher nicht untergekommen.«
    »Du kannst also beschwören, dass Agnes Imhoff mit einem solchen Mann niemals verhandelt hat? Ihm Geld gab, zum Beispiel?«
    »Geld? Aber gewiss nicht! Die Verhandlungen führte ihr Gemahl selbst. Manchmal war sie zugegen, doch nicht immer. Nein, ich kenne diesen Mann nicht!« Sie merkte, dass sie zornig wurde. Wollten denn alle nur Frau Imhoff in einem schlechten Licht sehen?
    »Mir ist zugetragen worden, dass dieser Flussschiffer zusammen mit Agnes Imhoff gesehen wurde.«
    Wieder ertönte ein Laut der Empörung von hinten. Erneut sah Stingin

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