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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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unschuldig!
    »Frau Imhoff ist nichts vorzuwerfen, Hoher Rat. Frau Imhoff ist eine tugendsame Hausfrau, sparsam und fromm.« Sie wagte einen raschen Blick über die Schulter zu dem Platz, auf dem sie Agnes Imhoff beim Hereinkommen hatte sitzen sehen. Auch jetzt ging dies nur flüchtig, sie musste wieder nach vorne sehen, da sie hörte, wie der Richter raunte: »Sparsam, soso.« In ungläubigem Erstaunen hob er die Augenbrauen.
    »Magd Bruwiler, kennst du einen englischen Kaufmann mit Namen Richard Charman?«, fragte er sodann.
    »Ja, gnädiger Herr, den Mann kenne ich. Sein Name fiel im Hause
Wolkenburg
. Der selige Andreas Imhoff sprach über die verdorbenen Tuche, die der englische Mann geschickt hat und die mein Herr nicht bezahlen wollte. Er war auch mehrmals im Hause
Wolkenburg
zugegen.«
    »Welchen Eindruck gewannst du von Richard Charman?«
    Stingin zögerte. Hier war sie bereits, die Schwierigkeit, die richtigen Worte zu wählen. Sie wusste den Engländer nicht einzuschätzen, er war ihr unheimlich mit seinen buschigen Augenbrauen, dem großen Kopf. Er hüllte sich in hochwertige Tuche und wirkte trotzdem klobig und kantig – und gleichzeitig so schlüpfrig, als wäre er soeben einer Badebütt voll mit duftölgetränktem Wasser entstiegen. Als sie zuvor den Gerichtssaal betreten hatte, sah sie ihn vorne in der Nähe des Pults sitzen, die Brust geschwellt vor Selbstbewusstsein. Sein Blick war lauernd, flößte ihr Angst ein, und unwillkürlich wandte sie ihre Augen in dieselbe Richtung wie er: schräg vor sich zu Mathis von Homburg. Auch ihn kannte sie, da er ebenfalls im Hause Imhoff ein- und ausging und bei vielen Festen zugegen gewesen war. Einmal hatte sie ihm die Tür geöffnet und sich erschrocken, weil seine Augen hinter den zuckenden hellen Flecken, die das Kerzenlicht auf seine Brille geworfen hatte, nicht mehr zu sehen gewesen waren. Damit hatte er so hutzelig wie ein Gnom ausgesehen, in seinem filzigen Mantel und mit dem schiefen Hut, unter dem das spärliche, zerfranste Haar hervorgelugte. Und auch vorhin hatte sie seine Augen nicht sehen können, aber sehr wohl bemerkt, dass er den durchdringenden Blick des Engländers erwiderte.
    »Nun, Magd Bruwiler?«
    »Hoher Rat, bei allem Respekt, gewiss ist Herr Charman …«
    Sie brachte es nicht über die Lippen. Sie konnte nicht sagen, dass sie ihn für einen achtbaren Mann hielt. Nicht, nachdem sie sein Gebaren im Dom miterlebt und gestern auch noch gesehen hatte, wie er sich auf den Stufen des Gerichtsgebäudes benommen hatte. Ganz und gar ungebührlich! Aber keine zehn Schritte von ihr entfernt saß er, blickte zu ihr herüber und wartete auf ihre Aussage.
    »Willst du mir nicht endlich antworten?«, fuhr Richter Hauser ungehalten auf.
    »Nun, es steht mir nicht zu, über Fremde zu urteilen.« Sie zögerte. »Doch ich soll die Wahrheit sprechen, und die ist, dass ich nichts Gutes über ihn berichten kann.«
    Ein Grummeln ging durch den Gerichtssaal, zeigte leise Empörung. Stingin versuchte, nicht darauf zu achten und tapfer zu sein. Doch sie wagte nicht aufzusehen. Mit gesenktem Haupt fuhr sie fort: »Im Sommer war’s, als er im Imhoff’schen Hause erschien, außer sich vor Zorn. Beschuldigt hat er Andreas Imhoff und ›Betrug‹ geschrien. Schlimme Worte hat er benutzt. Und dann, keine Woche nach dem schrecklichen Unglück mit dem Herrn Imhoff, da hat er auch die arme herzensgute Frau Imhoff auf das Übelste beschimpft und beleidigt. Im Dom war das, ich war zugegen. Ganz unflätige Worte hat er benutzt, drohend stand er vor ihr, voller Unwille und Zorn, und das an diesem geheiligten Ort!«
    »Im Dom? Agnes Imhoff und Richard Charman?«
    »Ja«, nickte Stingin. »Ich habe nicht gewusst, dass sie da war, ich sah sie zufällig und erschrak gehörig. Nicht weil ich etwas Unrechtes getan hätte, denn sie weiß, dass ich in den Dom gehe und bete, so oft es die Arbeit erlaubt. Hinten, beim Gerokreuz in der Kreuzkapelle. Es war, weil es da so augenscheinlich eine Missstimmung zwischen Frau Imhoff und dem Engländer gab.«
    Die Feder des Schreibers kratzte hurtig über das Papier. Stingin spürte ihren heftigen Herzschlag. Nun hatte sie es gesagt. Sie wollte nicht wissen, was in der Miene des Engländers zu lesen war. Sie sah nicht hin.
    »Löbliche Gottesfurcht, Magd Bruwiler«, murmelte der Richter und sah rasch zu dem Schreiber hin, ehe er fragte: »Wann war das?«
    »Am siebten September. Ich weiß es genau, denn an diesem Tage hat meine Freundin Brid

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