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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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vor, bei Altenberg liegt bereits Schnee! Wir mussten frühzeitig in ein Gasthaus einkehren. Heute Morgen haben wir die letzte Etappe genommen.«
    Im Kamin der Stube prasselte ein Feuer. Aber es brannte noch nicht lange. Der Raum war kalt und die Wandvertäfelung knackte, das tat sie immer, wenn sie sich allmählich erwärmte. Er schob die Armstühle näher an den Kamin heran. »Du bist sicher müde.«
    Cordula winkte ab. Sie trat zur Fensterfront und tippte mit der Fingerspitze gegen das Glas. »Wenn Johann nicht so geizig wäre, hätten wir in Schaumburg auch schon Glasfenster.«
    »Er ist nicht geizig, sondern sparsam.«
    »Du hast sogar unser Familienwappen auftragen lassen!« Erfreut eilte sie zum mittleren Fenster, dessen Scheibe rot leuchtete rings um das weiße Brennnesselblatt der Grafschaft. »Du weißt eben, was es bedeutet, eine namhafte Familie zu repräsentieren.«
    »Hör auf, Schwesterchen. Es ist mir schwer genug gefallen, Johann die Grafschaft zu überlassen. Rede mir nicht ein, dass er die Familiengüter ruiniert.« Er setzte sich. »Erweitert er den Abbau von Sandstein in Stadthagen? Und wie geht es mit der Steinkohle bei Obernkirchen?«
    »Du solltest zuerst nach der Familie fragen.« Sie kam zu ihm und setzte sich auf den zweiten Stuhl, die Füße zum Feuer hin ausgestreckt.
    Trug sie Männerschuhe? Die Schuhe waren klobig, sie passten nicht zu einer Dame. »Also gut. Wie geht es Otto, Anton, Wilhelm und Erich? Und dem kleinen Jobst?«
    »Er ist nicht mehr klein, Adolf. Er ist vierzehn.«
    »Was macht Elisabeth?«
    »Sie wird von Jahr zu Jahr schöner. Johann empfängt bereits Brautwerber für sie.« Ein leiser Schmerz schwang in ihrer Stimme mit.
    Auch ihr war es damals so ergangen, dreizehnjährig war sie an den Grafen Everwin von Bentheim verheiratet worden. Bis er starb, war nur ein Jahr vergangen, aber diese zwölf Monate hatten Cordula alle kindliche Leichtigkeit, alle Lebenslust ausgetrieben. Seitdem wohnte sie bei Johann, ihrem Bruder. Das Leben war in widernatürlicher Kürze an ihr vorübergerauscht, alles Leid zusammengepresst zu einem Ehejahr, zu viel für ein Kind. Jetzt saß sie neben ihm am Kamin als achtzehnjährige Witwe und versuchte, ihre Verwirrung mit einer Handbewegung von der Armlehne des Stuhls zu wischen.
    »Cordula, erinnerst du dich an Agnes Imhoff?«
    »Die schöne Tuchhändlerin, an die du dein Herz verloren hast?«
    Er fuhr herum. »Wie kannst du so etwas sagen? Sie ist nichts als eine gute Freundin!«
    »Du triffst sie oft, nicht wahr?«
    »Es gibt nichts zwischen uns, und es wird auch nichts geben! Sie ist verheiratet, oder war es zumindest, und ich habe die geistliche Laufbahn eingeschlagen, für mich kommt keine Frau mehr in Frage. Früher oder später werde ich die Weihe zum Priester empfangen.«
    »Und die Weihe zum Bischof«, ergänzte sie.
    »Wir werden sehen.«
    »Wie ist es überhaupt als Koadjutor des Erzbischofs?«
    »Auch nicht anders als zuvor, als ich noch dem Domkapitel vorstand.«
    »Glaub ich nicht.« Ihre Zunge umspielte die Schneidezähne. »Mein lieber Bruder, du machst gewaltig Karriere. Der Papst musste deine Wahl zum Koadjutor bestätigen, das hast du doch geschrieben! Sogar in Rom kennt man schon deinen Namen. Vielleicht wirst du eines Tages selbst Erzbischof sein.«
    »Und dann was? Ich will nicht die Streitigkeiten der Suffraganbischöfe schlichten müssen und Tag um Tag Kelche und Altäre und Kerzen weihen, Synodalakten unterschreiben und Ablässe auf Rosenkränze, Medaillen und Statuen geben.«
    Sie sah ihn wissend an. »Mir machst du nichts vor, Bruder. Selbstverständlich hast du’s auf den Bischofsthron abgesehen. Und es geht um mehr als nur um Ablässe. Der Erzbischof von Köln ist Kurfürst! Davon abgesehen verleiht er kostbare Benefizien und Kapitelspräbenden.« Ein schelmisches Lächeln trat in ihre Augen, sie sah fast aus wie damals, bevor sie verheiratet wurde. Ein Rest ihrer kindlichen Seele schien überlebt zu haben. »Außerdem verfällt jeder, der einen Erzbischof beleidigt oder verletzt, der Exkommunikation. Ist das nichts?«
    Er lachte. »Klug wie eh und je, mein Schwesterchen.«
    Cordula sah ins Feuer, dann blickte sie auf und lächelte. »Erinnerst du dich an die Maikäferplage, als ich neun war? Die Dienstmägde haben die Käfer in Honig eingelegt, und wir durften sie naschen. Oder es gab Maikäfersuppe. Sie haben die Käfer in Butter angeschwitzt, Hühnerbrühe dazugegeben, sie mit Eigelb gebunden und mit Schnittlauch

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