Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
Verurteilung mit sich.
Er lehnte sich gegen die Wand des Gangs, zog das Schriftstück hervor und las es erneut. Anschließend starrte er eine halbe Ewigkeit auf den unfassbaren Namen. Wenn dieser Mann sich in den Prozess einmischte, gab es für Agnes keinen Ausweg mehr. Sie war verloren.
Ich habe sie im Stich gelassen, dachte er.
Von draußen war ein vielstimmiges Piepsen zu hören. Die Spätbrut sollte besser im Hühnerstall bleiben, es war zu kalt für die Küken. Froh über die Ablenkung trat er hinaus und hörte die Henne mit dringlichen, kurzen Lauten nach ihren Küken rufen. Sie schossen von überall her unter ihre Flügel, so schnell, dass er sich wunderte, dass sie nicht auf der anderen Seite wieder hinauspurzelten. Schon war ein Habichtschatten über ihr, der Raubvogel flatterte wild, aber die Henne hackte nach oben und bedeckte ihre Brut mit den Schwingen.
Adolf stürmte auf den Räuber zu. Da drehte der Vogel ab und floh. Vorsichtig spähte die Glucke gen Himmel, sie blickte im Wechsel mit dem rechten und mit dem linken Auge hinauf. Schließlich gab sie Entwarnung, und ihre Kleinen strömten wieder heraus. Ein Mensch war da, der sie beschützte.
Er blickte dem Raubvogel nach. War der Hühnerhabicht ein Zeichen Gottes? Sollte er, Adolf, die Witwe unter seine Fittiche nehmen, wie die Henne ihre Küken beschützt hatte, und ihr helfen? Aber es war ja unmöglich. Nicht nur, dass er das Domkapitel und den Erzbischof erzürnen würde, wenn er in den Prozess eingriff, nein, er hätte auch keinerlei Aussicht auf Erfolg. Es war zu spät.
Seufzend schüttete er die Körner aus. Die Küken pickten fleißig danach. Die Henne überwachte sie dabei, und gelegentlich schnellte auch ihr Kopf vor und sie fraß ein Korn. Der Wind trug das helle Klingen der Schmiedehämmer herüber und den Rußgeruch ihrer Essen.
Eine Nachbarin blickte aus dem Fenster und schüttelte, während sie ihn begaffte, zum Schein ein Laken aus. Ja, der Herr Grafensohn und Domherr auf dem Hühnerhof, stell’ dir vor. Er rief: »Guten Morgen! Passt auf, dass Euch das Laken nicht entgleitet, ein Windstoß könnte es zu uns in den Hühnerhof tragen.«
Verdattert holte sie es herein und zog sich in die Wohnung zurück.
In all der Zeit war er nicht warm geworden mit Köln. Als er vor vier Jahren in die Stadt gezogen war, achtzehnjährig, hatte er Weltoffenheit und Weisheit erwartet. Aber man behandelte ihn mit schüchternem, geradezu angsterfülltem Respekt. Weil er so jung bereits würdevolle Ämter bekleidete, blieb er ein Fremder für die Leute. Selbst im Domkapitel fand er nur schwer Anschluss. Man achtete ihn, man folgte seinen Vorgaben, hielt aber zugleich Abstand.
Es gab wenige Ausnahmen. Der Gerichtsschreiber, der ihm gerade die ungeheuerliche Nachricht hatte zukommen lassen, zählte dazu, er war ein guter Freund geworden. Und Agnes. An sie zu denken, versetzte ihm erneut einen Stich.
Jemand flüsterte im Gang: »Sagt nichts!«
Misstrauisch drehte er sich um. Da stürmte Cordula auf den Hof und fiel ihm um den Hals. »Endlich!«, jubelte sie. »Ich hab mich seit Wochen auf diesen Augenblick gefreut.«
Er schloss sie in die Arme und drückte sie an sich. Die verschämten Blicke der Dienstboten, die ebenfalls auf den Hühnerhof hinaustraten, wie um sich zu entschuldigen, dass sie Cordula nicht aufgehalten hatten, ignorierte er.
»Was machst du hier bei den Hühnern?« Sie ließ ihn los.
»Hast du vergessen, dass ich vom Land komme?«
»Ach, du!« Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ich komme auch vom Land, und mich interessiert kein blödes Federvieh.« Sie wandte sich den Dienstboten zu. »Was steht ihr hier herum? Soll der Kutscher alles allein ausladen? Geht und helft ihm! Aber seid vorsichtig mit der großen Truhe, ein Griff ist lose.« Sie sah wieder Adolf an. »Ich hab von zu Hause ein Fässchen Salbeiwein mitgebracht, Johann hat es mir mitgegeben. Der Wein wird dir schmecken, besser als dieses Wermutgesöff. Trinkst du das immer noch?«
»Jeden Morgen einen Schluck auf nüchternen Magen.«
Sie schüttelte sich angewidert. »Gehen wir rein und setzen uns in die Stube.«
Sie stiegen im Hausinneren die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Cordula nahm die Stufen leichtfüßig, trotz der anstrengenden Reise.
»Wie kommt’s, dass du so früh da bist?«, fragte er. »Ich habe erst am Abend mit dir gerechnet.«
»Eigentlich wollte ich schon gestern hier sein, um dich zu überraschen. Das haben wir nicht geschafft. Stell dir
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