Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
mir deshalb so leicht, dich zu verstehen.«
»Könntest du dir vorstellen, sie zu verlassen?«
»Kaum«, antwortete er mit gedämpfter Stimme. »Ich fühle mich ihr verpflichtet. Immerhin hat sie mir einen Sohn geboren, der meine Geschäfte in Antwerpen führt. Er würde es gewiss nicht verstehen, wenn ich seine Mutter wegen einer anderen Frau einfach im Stich ließe. Das kannst du doch nachvollziehen, oder?«
Agnes begriff gar nichts mehr. Der Mann, dem sie bis vor wenigen Minuten nicht nur ihr volles Vertrauen, sondern auch ihr Herz geschenkt hatte, war anscheinend auch nicht anders als andere Kerle. Sicher, er war zärtlich und verständnisvoll. Aber war er das auch bei seiner eigenen Frau? Und wenn ja, wie konnte er diese geteilte Zuneigung mit seinem Gewissen vereinbaren? Oder war er auch nur ein Betrüger, wie Andreas? Nicht mit dem Geldbeutel, aber mit dem Herzen, was ihr fast noch schlimmer erschien.
»Ich muss gehen«, sagte sie traurig und wand sich aus seiner Umarmung. Ungeachtet seiner überraschten Miene schlug sie die Bettdecke zurück. Sofort wurde es kalt. So kalt wie in ihrem Innern, das sich zu einem Klumpen aus Eis zusammengezogen hatte.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Charman aufgebracht. »Bitte, Agnes, bleib. Ich meine es ehrlich mit dir!«
»Ich gehe nach Hause«, antwortete sie schlicht und sammelte die Kleidung vom Boden auf. »Wir reden ein anderes Mal.«
»Was willst du?«, fragte er hitzig. »Soll ich mich für dich scheiden lassen?«
»Auf keinen Fall!«, erregte sie sich. »Sollte ich mein Glück etwa auf dem Unglück einer anderen Frau aufbauen?« Wie betäubt zog sie sich an. Seine Worte rauschten an ihr vorbei, während sie wie ein Räuber auf der Flucht hastig in ihre Stiefel schlüpfte. Schwungvoll zog sie den Mantel über. Unterdessen stand Charman, immer noch nackt, in der Stube und starrte sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. Sein Angebot, sie im Dunkeln nach Hause zu begleiten, schlug sie trotzig aus.
Gedankenverloren lief sie aus der Kammer. Der dunkel gekleideten Frau, die sie dabei am Treppenabsatz des
Schwarzen Hahns
fast umrannte, schenkte sie keine Beachtung, zu sehr war sie bemüht, ihr Gesicht zu verbergen und den Ort des Geschehens zu verlassen. Aber wie hätte sie auch nur ahnen können, dass Gerlin ihr heimlich gefolgt war und ihnen sogar beim Liebesspiel zugesehen hatte?
Drei Tage später, kaum dass Andreas aus Aachen zurückgekehrt war, stellte er Agnes in der Wohnstube der
Wolkenburg
zur Rede.
»Du Schlampe! Du Hure! Du Drecksstück!«, brüllte er sie an.
Agnes hielt sich schützend die Hände vors Gesicht, während seine Schläge auf sie einprasselten. Wie hatte er es nur erfahren?
Im Nu riss er ihr die Haube vom Kopf, fasste in ihr langes Haar und zog fest daran. Dabei schlug er ihr links und rechts ins Gesicht, immer wieder, bis sie vor Schmerzen zu Boden ging. Wie üblich war es ihm gleichgültig, dass Sophie sein brutales Vorgehen mit aufgerissenen Augen beobachtete. Als das Kind vor Angst zu schreien begann, zog er Agnes erbarmungslos auf die Füße.
»Du elendes Luder«, brüllte er außer sich vor Wut und schlug nochmals zu. Diesmal mit dem Handrücken direkt auf den Mund. Agnes schmeckte Blut, sein Siegelring hatte offenbar ihre Lippe verletzt. Dennoch spürte sie keinen Schmerz, weil sich ihr ganzes Gesicht betäubt anfühlte. Doch richtig bange wurde ihr erst, als er in blinder Wut das Kind packte und mit ihm die Kellertreppe hinunterlief. »Nun wollen wir mal sehen, wer hier der Herr im Haus ist!«, brüllte er.
Wimmernd vor Furcht steckte Sophie zwischen seinen unerbittlich starken Armen und zappelte wie ein kleines Ferkelchen kurz vor der Schlachtbank.
»Andreas!«, schrie Agnes vor Entsetzen. »Lass um Herrgotts willen das Kind aus dem Spiel!«
Auch wenn Agnes sich dem Wahnsinn nahe fühlte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den beiden zu folgen, weil sie fürchtete, er könne Sophie allein aus Rache an ihrer Mutter etwas Furchtbares antun. Doch kaum war sie am Ende der Treppe angekommen, ließ er das heulende Kind auf den Boden fallen und schnappte nach ihrem Arm, den er so fest hielt, als wäre seine Hand ein Schraubstock. Mit wüsten Beschimpfungen bugsierte er sie in einen dunklen Verschlag, während Sophie trotz aller Verzweiflung hinter ihnen herlief, wie ein herrenloses Hündchen. Nachdem er Agnes mit Schwung auf den kalten Boden gestoßen hatte, schubste er Sophie hinterher. Agnes konnte ihre Tochter
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