Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
Vom Netzwerk:
Natürlich hätte sie auch einen Pferdewagen nehmen können, doch davon hatte Augustin ihr abgeraten. »Es ist besser, Ihr gebt Euch bescheiden«, hatte er ihr erklärt. »Jeder soll sehen, dass Ihr eine bedauernswerte Frau seid, die nach dem Tod ihres Mannes vollkommen auf sich allein gestellt ist. Nur wenn Ihr das Gericht mit Eurer Aussage ein für alle Mal davon überzeugen könnt, dass Ihr unter der Knute Eures Gatten gestanden habt, wird man Euch Glauben schenken, ganz gleich, welchen Eindruck Eure Cousine von Euch zu vermitteln suchte. Ihr müsst beschwören, dass ihr mit seinen Geschäften überhaupt nichts zu schaffen hattet und dass Ihr zur Unterschrift gezwungen wurdet!«
    Schweren Herzens erreichten sie schließlich den Domhof. Vor dem Hauptgerichtsgebäude hatten sich an die einhundert Menschen aller Stände versammelt, bereit, dem Verlauf der Gerichtsverhandlung wie einem spannenden Puppentheater zu folgen.
    Manche riefen ihr Mut zu, andere erhoben die Fäuste. Agnes ging mit gesenktem Kopf durch das aufgeheizte Publikum wie durch ein Spalier hindurch.
    Vor dem breiten, spitz zulaufenden Eingangstor standen wie immer Wachen mit langen Hellebarden, blank polierten Helmen und Brustpanzern, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung sicherzustellen.
    Augustin von Küffen, der die Vorhut übernommen hatte, sorgte dafür, dass Agnes unbehelligt in den Gerichtssaal gelangte, indem er ihr seine warme Hand in den Rücken legte und sie sanft voranschob.
    Kaum dass Agnes auf der ihr zugedachten Holzbank Platz genommen hatte, zogen die übrigen Beteiligten ein.
    Agnes fühlte sich mit einem Mal tatsächlich wie in einem Theaterstück.
    Augustin von Küffen setze sich mit bedauerndem Blick in die Reihen des Volkes, während der Advokat Mathis von Homburg neben Agnes Platz nahm und sie nur flüchtig grüßte. Als nächste erschienen die Schöffen und dann Charmans Rechtsbeistand, Helmbert Bellendorf. Nur Richard Charman selbst war weit und breit nicht zu sehen. Agnes, die sich am meisten vor einer erneuten Begegnung mit ihm gefürchtet hatte, schaute sich überrascht um.
    »Wo ist Charman?«, fragte sie schließlich Mathis von Homburg.
    »Ich habe gehört, er sei überstürzt nach London zurückgekehrt«, murmelte dieser.
    »Was hat das zu bedeuten? Ist er etwa geflohen, um einem Mordprozess zu entgehen?«
    »Ich weiß es nicht«, gab von Homburg mit einem Stirnrunzeln zurück.
    Schließlich betrat Doktor Hieronymus Hauser den Saal und marschierte in seinem schwarzen Ornat und mit einem Wust aus Akten unter den Armen direkt auf das Richterpult zu. Im Vorbeigehen streifte ihr Blick seinen pompösen Siegelring, der für jedermann seine Macht unterstrich.
    Hauser klopfte mit dem Hammer auf sein Pult und eröffnete den Prozesstag. »Wir verhandeln heute abschließend die eheliche Schuldhaftung der Witwe Agnes Imhoff, geborene Lutzenkirchen«, sagte er mit akzentuierter Stimme, als ob es ihn ärgerte, dass er sich schon wieder – oder noch immer – mit dieser leidigen Sache befassen musste. »Es geht um die Frage, ob eine Ehefrau beziehungsweise eine Witwe für die Schulden ihres Ehemannes einstehen muss. Die Streitobjekte sind das Haus
Wolkenburg
in der Sternengasse im Schreinsbezirk St. Peter und die Wirtschaft
Zum kleinen Ochsen.
«
    Er blickte kurz auf und schaute in die Runde der anwesenden Juristen, um zu prüfen, ob irgendjemand etwas gegen seine Erklärungen einzuwenden hatte, doch niemand ergriff das Wort. Dann schnaufte er gut hörbar und fuhr fort: »Ich fasse zusammen. Der Advokat der Beklagten plädiert darauf, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Schuldeintritts nichts von den Machenschaften ihres Ehemannes gewusst habe. Außerdem könne sie mit ihrem verbleibenden Vermögen nicht in Haftung genommen werden, weil sie zu keiner Zeit während ihrer Ehe mit Andreas Imhoff den Status der Geschäftsfähigkeit erlangt habe. Dieses wird jedoch von der Gegenseite bezweifelt, die die Geschäftstätigkeit von Agnes Imhoff als belegt ansieht. Die Eingabe der Verteidigung, die Beklagte sei zur Unterschrift gezwungen worden, konnte durch die Aussage der Magd Stingin Bruwiler nicht hinreichend gefestigt werden, da diese bei der Unterschriftslegung nicht anwesend war. Auch die Aussage Gerlin Metzelers bestätigte die Eingabe nicht. Ganz im Gegenteil ließen die Schilderungen der Zeugin große Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Beklagten aufkommen.«
    Wieder schaute er auf. Diesmal traf sein suchender Blick auf Agnes

Weitere Kostenlose Bücher