Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Rubinrot. Einen Moment lang glaubte sie winzige Lichtpunkte auf der Oberfläche schillern zu sehen, eine funkelnde Spur, die ihr den Weg wies. Und vielleicht war da ja auch eine Spur. Das Ganze kam ihr völlig unwirklich vor.
David schwieg jetzt, wohl um zu überlegen, wie er seine Gedanken am besten offenbaren und ob er es überhaupt tun sollte. »Ich bin bereit, dir zu verzeihen und die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.«
In diesem Augenblick wäre Ella auch nach Sarkasmus, Hohn, Streit oder einer dramatischen Szene gewesen, aber sie entschied sich für die schlichteste Variante. Mit funkelnden Augen fragte sie ihren Mann: »Und was ist mit deinen Affären? Willst du die auch auf sich beruhen lassen?«
Die Kellnerin kam mit dem Essen. Ella und David lehnten sich zurück und sahen ihr dabei zu, wie sie die Teller auf den Tisch stellte und dann übertrieben elegant mit der Weinflasche hantierte, um nachzuschenken. Als sie gegangen war, schnellte Davids Blick zu Ella hinauf, und er fragte: »Ach so, darum ging es dir also. Um Rache.«
»Nein.« Ella schüttelte enttäuscht den Kopf. »Es geht nicht um Rache. Es ging nie um Rache.«
»Worum ging es dann?«
Ella faltete die Hände. Ihr war, als ob alles und alle in dem Lokal – die Gäste, die Kellner, die Köche und sogar die tropischen Fische im Aquarium – innehielten, um zu hören, was sie gleich sagen würde.
»Es geht um Liebe. Ich liebe Aziz.«
Sie erwartete, dass ihr Mann in unbändiges Gelächter ausbrechen würde. Doch als sie schließlich den Mut fand, ihn anzusehen, stand das blanke Entsetzen in seinen Augen. Es wich aber auf der Stelle dem Ausdruck eines Menschen, der ein Problem so zu lösen beabsichtigte, dass möglichst wenig Schaden entstand. Ihm schien eine Erkenntnis zu kommen. »Liebe« war ein schwerwiegendes Wort, ein bedeutsames und ganz untypisches Wort für seine Frau, die sich in der Vergangenheit so oft negativ über die Liebe geäußert hatte.
»Wir haben drei Kinder …«
»Ja, und ich liebe sie sehr«, sagte Ella und ließ die Schultern fallen. »Aber Aziz liebe ich auch …«
David unterbrach sie. »Vergiss doch dieses Wort!« Bevor er weitersprach, nahm er einen großen Schluck aus seinem Glas. »Ich habe riesige Fehler gemacht, aber ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, Ella. Und ich habe nie eine andere geliebt. Wir können doch beide aus unseren Fehlern lernen. Ich für meinen Teil kann dir versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Du musst dich nicht mehr irgendwo da draußen nach Liebe umsehen.«
»Ich sehe mich nicht irgendwo da draußen nach Liebe um«, murmelte Ella mehr zu sich selbst. »Rumi sagt, dass wir es nicht nötig haben, außerhalb unserer selbst die Liebe zu suchen. Wir müssen nur die Hindernisse in uns, die uns von der Liebe trennen, zur Seite räumen.«
»Oh mein Gott! Was ist denn nur los mit dir? Das bist doch nicht du! Hör bloß auf mit diesem romantischen Getue und sei wieder die, die du warst!«, blaffte David. Dann fügte er hinzu: »Bitte!«
Ella runzelte die Stirn und betrachtete ihre Fingernägel, als gäbe es irgendetwas an ihnen auszusetzen. In Wirklichkeit dachte sie daran, wie sie vor einiger Zeit buchstäblich dasselbe zu ihrer Tochter gesagt hatte. Ihr war, als schlösse sich ein Kreis. Langsam nickend legte sie ihre Serviette auf den Tisch.
»Ich möchte gehen«, sagte sie. »Ich habe keinen Hunger.«
In dieser Nacht schliefen sie in getrennten Betten. Und gleich als Erstes am nächsten Morgen schrieb Ella Aziz einen Brief.
DER ZELOT
KONYA, FEBRUAR 1246
B ereite dich auf schlimme Dinge vor! Scheich Jassin! Scheich Jassin! Hast du schon von dem Skandal gehört?«, schrie Abdullah, der Vater eines meiner Studenten, während er mir auf der Straße entgegenlief. »Rumi wurde gestern in einer Schenke im jüdischen Viertel gesehen!«
»Ja, ich habe davon gehört«, sagte ich. »Aber es hat mich nicht überrascht. Der Mann hat eine Christin zur Frau, und sein bester Freund ist ein Ketzer. Was soll man von so einem schon erwarten?«
Abdullah nickte bedenkenschwer. »Ganz ohne Zweifel. Damit hätten wir rechnen müssen.«
Um uns versammelten sich einige Leute und lauschten unserem Gespräch. Einer schlug vor, Rumi nicht mehr in der Großen Moschee predigen zu lassen, bis er sich öffentlich entschuldigt habe. Ich stimmte zu, verließ dann aber, weil meine Lehrstunde in der Madrasa bevorstand, das hin und her redende Grüppchen und eilte davon.
Ich hatte schon immer
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