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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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einem Tag auf den anderen aufgaben und ihren guten Ruf in Gefahr brachten, um sich auf eine innere Reise zu begeben, von der niemand sagen konnte, wo und wie sie enden würde. Ein solch seltener Rubin war Rumi.
    »Gott will, dass wir genügsam und bescheiden sind«, sagte ich.
    »Und Er will erkannt werden«, fügte Rumi leise hinzu. »Er will, dass wir Ihn mit jeder Faser unseres Wesens erkennen. Deshalb ist es besser, nüchtern und wachsam zu sein als betrunken und benommen.«
    Ich stimmte ihm zu. Bis die Dämmerung anbrach und es kühl wurde, blieben wir im Hof sitzen, die Rosenblüte zwischen uns. In der Kälte des Abends schwang der Duft von etwas Frischem, Süßem mit. Der Wein der Liebe machte uns ein wenig schwindelig, und mit großer Freude und Dankbarkeit spürte ich, dass der Wind nun nicht mehr Verzweiflung verhieß.

ELLA
    NORTHAMPTON, 24. JUNI 2008
    B este aller Ehefrauen, in der Stadt hat ein neues Thai-Lokal eröffnet«, sagte David. »Soll sehr gut sein. Hast du Lust, heute Abend hinzugehen? Nur wir zwei?«
    Mit ihrem Mann essen zu gehen war das Letzte, was Ella an diesem Dienstagabend wollte. Aber David beharrte so sehr darauf, dass sie nicht nein sagen konnte.
    Das »Silver Moon« war ein kleines Restaurant mit schicken Lampen, Nischen mit lederbezogenen Sitzen, schwarzen Servietten und so vielen tief an den Wänden hängenden Spiegeln, dass es einem vorkam, als diniere man mit seinem eigenen Spiegelbild. Ella fühlte sich dort schon bald völlig deplatziert, was aber nicht an dem Lokal lag, sondern an ihrem Mann. In Davids Augen lag ein für ihn untypischer Glanz. Irgendetwas stimmte nicht. Er wirkte nachdenklich, ja geradezu besorgt. Am meisten beunruhigt hatte sie der Umstand, dass er mehrmals ins Stottern gekommen war, denn Ella wusste, dass David schon sehr schwer erschüttert sein musste, wenn sich sein Sprachfehler aus Kindertagen wieder bemerkbar machte.
    Eine junge, thailändisch gekleidete Kellnerin trat an den Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. David entschied sich für Jakobsmuscheln in einer Chili-Basilikum-Sauce, Ella für Gemüse und Tofu in Kokossauce; sie wollte dem an ihrem vierzigsten Geburtstag gefassten Entschluss, kein Fleisch mehr zu essen, treu bleiben. Dazu bestellten sie Wein.
    Sie unterhielten sich ein paar Minuten lang über die elegante Innenausstattung und sprachen über die Wirkung von schwarzen beziehungsweise weißen Servietten. Zwanzig Jahre Ehe, zwanzig nachts im selben Bett verbrachte Jahre, zwanzig Jahre im selben Bad, mit demselben Essen, den drei von ihnen großgezogenen Kindern … Aber unterm Strich herrschte Schweigen. Das ungefähr waren Ellas Gedanken.
    »Ich habe gesehen, dass du in letzter Zeit Rumi liest«, sagte David.
    Ella nickte erstaunt. Sie wusste nicht, was sie mehr erstaunte – dass Rumi David ein Begriff war oder dass ihn interessierte, was sie las.
    »Zuerst nur, um mir die Arbeit an dem Gutachten über Süße Blasphemie zu erleichtern, aber dann war ich so fasziniert, dass ich die Gedichte für mich selbst las«, erklärte Ella.
    Ein paar Sekunden lang wurde Davids Aufmerksamkeit von einem Weinfleck auf dem Tischtuch in Anspruch genommen. Dann seufzte er und setzte eine Miene auf, als wolle er gleich etwas Gewichtiges verkünden. »Ella, ich weiß, was los ist«, sagte er. »Ich weiß alles.«
    »Worüber denn bitte?«, fragte Ella, obwohl ihr nicht klar war, ob sie die Antwort hören wollte.
    »Über … über deine Affäre …«, stammelte David. »Ich weiß Bescheid.«
    Ella sah ihren Mann entgeistert an. Im Schein der Kerze, die die Kellnerin kurz zuvor angezündet hatte, spiegelte Davids Gesicht die reinste Verzweiflung.
    »Meine Affäre?«, platzte Ella schneller und lauter heraus, als sie beabsichtigt hatte, und bemerkte im selben Moment, dass sich das Paar am Nebentisch zu ihnen umdrehte. Peinlich berührt verfiel sie in einen Flüsterton. »Welche Affäre denn?«
    »Ich bin ja nicht blöd«, sagte David. »Ich habe deinen E-Mail-Account durchsucht und die Mails gelesen, die du dir mit diesem Mann geschrieben hast.«
    »Da hast was getan?«
    David ging über Ellas Frage hinweg und sagte mit einem verzerrten Gesicht, aus dem die Bedeutsamkeit seiner nächsten Worte sprach: »Ich mache dir keine Vorwürfe. Ich habe es nicht anders verdient. Ich habe dich vernachlässigt, und du hast dir anderswo ein bisschen Mitgefühl gesucht.«
    Ella senkte den Blick auf ihr Glas. Der Wein hatte eine wunderschöne Farbe, ein tiefes, dunkles

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