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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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konnte der Priester seinen Wunsch niemand anderem vortragen als Gonzague Maris, der auf dem Dreizeltplatz eilig hin und her promenierte, wie es bewegungssüchtige Seereisende auf einem schmalen Schiffsverdeck zu tun pflegen. Der junge Grieche ging zu Juliettens Expeditionszelt und schlug den kleinen Gong an, der über dem Eingang hing. Die Hanum aber ließ sehr lange auf sich warten. Als sie endlich erschien, bat sie Gonzague, für Ter Haigasun einen Stuhl aus dem Zelte herauszutragen. Dieser aber wehrte ab. Leider dürfe er nicht viel Zeit verlieren. Er ließ seine Hände in den breiten Ärmeln der Kutte verschwinden und senkte die Augen. Was er in einem steifen Französisch vorbrachte, war voll getragener Förmlichkeit. Die Güte von Madame sei bekannt. Er bitte Madame daher, dem Volke die Ehre zu erweisen und folgenden Auftrag zu übernehmen. Es sei notwendig, daß von der vorspringenden Felsterrasse auf der Steilseite des Berges eine sehr große weiße Fahne mit einem roten Kreuz ins Meer hinaus wehe, um jenen Schiffen, die Gott in seiner Gnade senden möge, Kunde von dem Elend zu geben. Darum müsse die Fahne auch eine Aufschrift in französischer und englischer Sprache tragen: »Christen in Not! Hilfe!« Ter Haigasun verbeugte sich, als er an Juliette die feierliche Frage stellte, ob sie gewillt sei, mit Hilfe anderer Frauen die Herstellung dieser Fahne zu besorgen. Juliette versprach es, jedoch mit einer lauen und empfindungslosen Art von Zusage. Es war merkwürdig, die Französin schien gar nicht die Ehrung zu verstehen, die Ter Haigasun ihr durch seinen Besuch und diese Bitte in feinster Art zuteil werden ließ. Sie war wieder einmal taub gegen alles Armenische. Als sich aber Ter Haigasun rasch und nur mit einem Kopfnicken entfernte, wurde sie plötzlich sehr unruhig und suchte selbst zwei große Leintücher aus, die mit der Nähmaschine zu der gewünschten Fahne zusammengesteppt werden sollten.
     
    Gabriel schärfte Tschausch Nurhan und den anderen Unterführern noch einmal die Unerläßlichkeit eiserner Disziplin ein. Von nun an dürfe niemand mehr ohne Erlaubnis den Posten verlassen, auf den er gestellt ist. Es könne ferner auch nicht geduldet werden, daß die Männer des ersten Treffens die Nacht bei ihren Familien in der Stadtmulde verbrächten. Bis auf die von den Führern ausdrücklich gestatteten Ausnahmefälle, habe jedermann in den Stellungen zu schlafen. Bagradian bestimmte auch einen von allen Seiten gut erreichbaren Platz zu seinem Hauptquartier. Dort solle täglich zwei Stunden vor Sonnenuntergang ein Rapport stattfinden, zu dem sich Abschnitts- und Gruppenführer einzufinden hätten. Er werde um diese Zeit Beschwerden, Anzeigen und Bitten entgegennehmen, Abhilfe schaffen und den Befehl für den nächsten Tag ausgeben. Damit war die soldatische Organisation im großen und ganzen geschaffen. Nun kam es nur auf Willigkeit und männlichen Eifer an, sie auch in Gang zu bringen. Gabriel Bagradian besprach noch einmal an Hand der Karte die Einteilung der dreizehn Verteidigungsabschnitte. Von diesen erforderten nur drei eine größere Besatzung, die übrigen zehn bedeuteten lediglich stärkere Wachposten, für die jeweils eine oder gar nur eine halbe Zehnerschaft völlig genügte. Dagegen bestimmte Gabriel allein für die Gräben und Felsbarrikaden des Nordsattels eine Grundbesatzung von vierzig Zehnerschaften mit zweihundert Gewehren. Den Befehl über diesen wichtigen Abschnitt übernahm er selbst. Sein nächster Stellvertreter war Tschausch Nurhan, dem zugleich auch der Befehl über die Stellung oberhalb der Steineichenschlucht sowie die Inspektion der gesamten Wehrmacht übertragen wurde. Zu dieser Würde gehörte vor allem die Sorge für die Erneuerung der Munition und Instandhaltung der Waffen. Der unschätzbare Tschausch Nurhan, der an zehn Orten zugleich sein konnte, hatte übrigens schon alles für eine Werkstatt zur Patronenerzeugung vorbereitet. Das nötige Material und Werkzeug war aus seinem geheimnisvollen Betrieb in Yoghonoluk auf den Berg gewandert. Es blieb demnach nur mehr die Kommandofrage der Südbastion zu lösen. Die Besatzung dieses entferntesten Abschnittes umfaßte fünfzehn Zehnerschaften. Aus den bekannten Gründen waren die echten und unechten Deserteure auf diese Streitmacht aufgeteilt, die für den starken festungsartigen Punkt als überaus hoch bezeichnet werden muß. Vorläufig hatte den Befehl dort ein gedienter Mann aus dem Dorfe Kheder Beg inne. Bagradian aber

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