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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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und mit erhabener Ablehnung der Umwelt drein. Gabriel Bagradian fiel das Gesicht des schwarzen Lehrers heute besonders auf. Hinter dieser selbstbewußten und alles verneinenden Miene schien sich Energie und Entschlossenheit zu verbergen. So klein Oskanian war, er verstand es wahrscheinlich, nicht nur Kindern Angst einzuflößen. Die Besatzung der Südbastion setzte sich zur Hälfte aus Deserteuren zusammen. Wie die Frechheit Kilikians gezeigt hatte, waren sie eines Erziehers und einer Aufsichtsperson bedürftig. Man mußte ihnen einen giftigen Stachel ins Fleisch bohren. Bagradian war überzeugt, in diesem von sich selbst besessenen Zwerg Oskanian den rechten Giftstachel gefunden zu haben. Auch bot sich ihm jetzt die Gelegenheit, die Kränkung wieder gutzumachen, die dem Schweiger dadurch widerfahren war, daß ihn Ter Haigasun in keinen der Unterausschüsse entsandt und keines besseren Amtes als nur des Schulehaltens für würdig befunden hatte. Bagradian bot deshalb dem finsteren Lehrer das Amt eines Kommissärs der Südstellung an. Er sollte in der Bastion für scharfe Ordnung und klaglosen Dienst sorgen, vor allem aber das kleinste Vergehen und die geringste Unbotsamkeit sogleich zur Anzeige bringen. Hrand Oskanian runzelte seine niedrige Stirn, so daß seine dicken schwarzen Augenbrauen zu einem Strich über der Nase zusammenwuchsen. Er schien mit Großartigkeit zu überlegen, ob diese teils erzieherische, teils büttelhafte Sendung seinem hohen Wert angemessen sei. Endlich stellte er seine Bedingung:
    »Wenn ich die Aufsicht über die Südbastion übernehmen soll, muß ich sehr gut bewaffnet sein, Bagradian Effendi, damit die Kerle sehn, daß mit mir nicht zu spaßen ist.«
    Lehrer Oskanian setzte es dann auch beim Waffenmeister Tschausch Nurhan durch, daß ihm nicht nur ein Karagewehr mit fünf Magazinen, sondern auch noch eine wuchtige Sattel-Pistole und ein breites Faschinmesser ausgefolgt wurde. Dergestalt schwer bewaffnet, begab er sich unverzüglich auf den Dreizeltplatz, wo er mit gewichtigem Schritt auf Juliette zutrat, um ihr seinen neuen Rang zu melden. Gonzagues achtete er mit keinem Blick, von der Überzeugung erfüllt, daß der glatte Weichling vor ihm, dem Krieger, in Nichts zerfließe.
     
    An diesem, dem ersten Tage des Musa Dagh, flogen die Grabenarbeiten frisch von der Hand. Es bestand gute Aussicht, daß man noch vor Einbruch der Nacht mit den wichtigsten Befestigungswerken zu Ende kommen werde. Das Arbeitsfieber wirkte so begeisternd, daß unter Lachen und Gesang Vergangenheit und Zukunft vergessen schienen.
    Weit weniger zuversichtlich erwies sich der Gemütszustand in der Stadtmulde. Ter Haigasun und Pastor Aram hatten alle Hände voll zu tun, um mit den Problemen, die in jeder Minute verschwenderisch auftauchten, zur Not fertig zu werden. Bei der ersten Führerberatung schon hatte Gabriel Bagradian die große Eigentumsfrage zum Mißvergnügen Kebussjans und der anderen Muchtars und Reichen aufgeworfen. Jetzt sahen diese eingefleischten Besitz-Bauern selbst ein, daß es ein Leben auf dem Damlajik ohne Vergemeinschaftung des Herdeneigentums überhaupt nicht geben könne. Täglich mußten nach genauer Vorschrift so und so viele Schafe und Ziegen geschlachtet werden, wobei es ganz unmöglich war, auf die einzelnen Herdenbesitzer Rücksicht zu nehmen. Jeder Vernünftige sah ferner ein, daß die Schlachtung der Tiere von den Gemeindemetzgern auf einem hierfür bestimmten Platz vorgenommen werden müsse, und daß eine Abordnung des Führerrates täglich die Verteilung des Fleisches an die Familien und Zehnerschaften zu beaufsichtigen habe, damit kein Unrecht geschehe und es nicht zu Unruhen komme. Da sich eines aus dem andern ergab, mußten die Muchtars schließlich sogar die Vorteile der gemeinschaftlichen Zubereitung des Fleisches einsehn. Doch nicht genug damit! Ihre Pflicht verlangte, daß sie das Notwendige nicht nur einsahen, sondern das Eingesehene dem Volke auch vermittelten und schmackhaft machten. Die Frischbekehrten hatten es nicht leicht, Vorkämpfer einer Ordnung zu sein, deren geborene Widersacher sie waren. In der Wohnungsfrage ließen sich die Gegensätze leichter vereinigen. Ter Haigasun hatte ja immer die Meinung vertreten, daß eine allzu harte und fugenlose Gemeinschaft dem Leben widerspreche und sich über kurz oder lang rächen müsse. So reibungslos wie möglich in einen neuen Alltag hereinwachsen, dies war die Formel, an die er glaubte. Das Wohngebiet wurde deshalb, so

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