Die vierzig Tage des Musa Dagh
kam nun weniger als Meister der Dichtkunst und Schönschrift, als in Gestalt eines beunruhigenden Kriegers. Bei Gelegenheit dieser Besuche trug er noch immer seinen graugeschwärzten Lordsrock, darunter aber das Bajonettschwert an einem Überschwung, aus dem noch die gewichtige Sattel-Pistole hervorlugte; er legte das Gewehr ebensowenig aus der Hand, wie er seine dräuende Lammfellmütze lüftete. Dennoch aber brachte er noch immer Geschenke mit, einen Strauß von wilden roten Orchideen oder eine genau strichlierte Schullehrerzeichnung, die er vor Juliette hinknallte, als sei sie nur ein nichtiger Vorschuß für künftige blutigere Gaben des Krieges, Türkenköpfe oder abgehackte Feindeshände. Die Penetranz des schwarzen Knirpses wurde nachgerade unerträglich. Er schwieg durchdringend, Juliette mit gehässig leidenschaftlichen Blicken verzehrend. Mit diesen Sturmangriffen des Schweigens hatte es jedoch leider nicht mehr sein Bewenden. Die wilde Bewaffnung erzeugte in Oskanians Herzen einen ganz neuen Drang zum Krakeel. Einmal zum Beispiel, als sich die Runde in der ruhigsten Art über die Tagesereignisse unterhielt und aller möglichen Männer und Leistungen lobend Erwähnung tat, nur Oskanians nicht, sprang dieser unvermittelt auf und kehrte sein wutschäumendes Gesicht Gonzague Maris zu, der in einem alten Band der ›Illustration‹ aus Krikors Besitz blätterte:
»Der Herr hat in Gegenwart von Madame über mich gelacht!«
Maris klappte das Buch zu und sah den Rasenden mit liebenswürdiger Verwunderung an:
»Ich habe über eines dieser Bilder gelacht und nicht über Sie, Lehrer Oskanian, obgleich Sie wirklich dazu herausfordern.«
Oskanian packte sein Gewehr und schrie:
»Wir werden sehen, wer hier zu lachen hat! Ich bin ein Führer, und der Herr ist nur ein geduldeter Nichtstuer unter uns. Auch ich denke mir mein Teil!«
Ohne Gruß stürmte er davon. Krikor machte eine müd entschuldigende Handbewegung:
»Er möchte immer mehr sein als er ist. Morgen kommt er wieder.«
Der Apotheker, der seine Jünger kannte, hatte richtig prophezeit. Er selbst aber, der Sokrates von Yoghonoluk, schien die tragische Aufstörung seines beschaulichen Lebens überwunden zu haben. Schon vom zweiten Tage des Musa Dagh angefangen befleißigte er sich, wie es einem Weisen geziemt, des gleichen Daseins wie früher. Das Bocksbärtchen unter seinem gelbglatten Gesicht wippte wieder gleichmäßig rhythmisch, wenn er aus dem unerschöpflichen Meer seines Wissens unkontrollierbare Zitate holte und Pflanzen, Steine, Sterne und Elemente mit eigensinnigen Namen und Formeln bedachte. Und doch, der alte unerbittliche Eifer in Krikors Belehrungen war abgestorben und hatte einer beängstigenden Abgeklärtheit Platz gemacht.
Unter den Nachmittags-Gästen Juliettens tauchten aber nicht nur die genannten Herren auf, sondern auch die Frauen der Notabeln. Mairik Antaram, die Ärztin, kam, wann sie nur Zeit hatte, die Muchtarin Kebussjan seltener, dafür aber um so mehr mit unersättlicher Neugier geladen. Die Kebussjan wollte alles sehen und bat Juliette flehentlich, sie in die Wohnstätten zu führen und ihr die Einzelheiten und Geheimnisse des Dreizeltplatzes zu zeigen. Mit überschwenglichen Lobsprüchen bedachte sie dann den Küchenherd, den Howhannes aus Steinen und mitgebrachten Herdplatten meisterhaft gesetzt und für alle Arten des Kochens, Bratens und Backens eingerichtet hatte. Sie bewunderte die leichten und weichen Betten in den Zelten, die zusammenlegbaren Möbel, die Gummitubs, das Tafelgeschirr, die reichen Gepäckstücke. Mit tiefster und anhaltender Ergriffenheit steckte die Muchtarin ihre Nase in die Vorratkisten und begutachtete die Sardinenbüchsen und Konserven, den Zucker und die Seife. Juliette konnte diese würdige Dame mit den suchenden und winkeldurchhuschenden Mausaugen nur loswerden, indem sie ihr aus diesen Vorräten ein Präsent verehrte, eine Tafel Schokolade oder eine Konserve. Frau Kebussjans Dank und Treueversicherungen nahmen dann die Ausmaße ihrer Lobsprüche an. Mairik Antaram hingegen brachte jedesmal selbst eine Kleinigkeit, ein Töpfchen mit Honig oder ein Stück Aprikosenleder, jenes bräunlichrote Fruchtgelee, das einen besonderen Frühstücks-Leckerbissen der armenischen Dörfer vorstellt. Frau Altouni übergab ihr diese Geschenke heimlich:
»Wenn sie fort sind, Djanik, mein Seelchen, iß das, es ist gut. Du sollst bei uns nichts entbehren …«
Oft aber sah Mairik Antaram mit ihrem kühnen und
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