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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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werden. Sein erstes Kind würde unter ebenso rauhen Umständen zur Welt kommen wie irgend ein Tierchen des Musa Dagh. War dies schon schlimm genug, so bedrückte Tomasian noch tiefer eine unbestimmte Angst, die er um seiner Sünde willen für die Kreatur im Mutterleibe empfand. Er ließ das Zeiß-Glas sinken und klammerte sich, wie vom Schwindel erfaßt, mit beiden Armen an die starken Äste der Gabel, in deren Mitte er saß. Als er nach einiger Zeit wieder den Feldstecher vors Auge nahm, hatte sich das Bild etwas verändert. Der Wurm wand sich jetzt durch Azir, das Raupendorf. Ein Trupp von Saptiehs aber hatte sich losgelöst und marschierte in nordöstlicher Richtung, Bitias im Rücken lassend, auf Kebussije zu. Pastor Aram sandte unverzüglich Botschaft an das Hauptquartier. Die Gefahr ging schnell vorüber. Die Saptiehs schwenkten nicht gegen den Nordsattel des Damlajik ein, sondern verzogen sich die ansteigende Talsohle hinan. Sie suchten, durch Pastor Harutiun Nokhudian verwirrt, auf falscher Fährte. Das Land lag still. Auf den Plätzen und Wegen der verlassenen Dörfer lungerten einige hundert Moslems umher. Die durch den Beutegeruch verlockten Mohadschirs aus dem Nordwesten und das einheimische Lumpenpack der Ebene. Das Gesindel schien von den Häusern noch nicht Besitz ergriffen zu haben. Vielleicht nahm ihm irgend ein Regierungsbefehl vorläufig den Appetit. Wie träge Brummfliegen taumelten die Guten zwischen den Häusern. Die Gendarmerieabteilung verschwand noch vor Kebussije in ein östliches Seitental, ein Beweis ihrer völligen Ahnungslosigkeit. Jähe Hoffnung: Vielleicht sind dem Volke noch viele Friedenstage gewährt, vielleicht lassen die Türken den Musa Dagh überhaupt links liegen.
    Pastor Aram sprang von seinem Spähersitz hinab. Von allen Seiten schollen die Axthiebe der Holzfäller aus den dunklen Schluchten. Tomasians Vater begann weithin hörbar mit dem Bau in der Stadtmulde. Gabriel Bagradian hatte angesichts der irregeführten Saptiehs der ganzen Mannschaft und Reserve den Tag für die Errichtung der Laubhütten freigegeben. Der Pastor fühlte, daß auch für ihn die Stunde der Tat gekommen war. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Mochte sie hinter seiner höchsten Pflicht zurückbleiben, auch auf diesem minderwertigeren Boden war es nicht leicht, die Prüfung zu bestehen. Der Zweifel und die lähmenden Anwandlungen des Schuldgefühls mußten für immer überwunden werden. Wenn er sich auch nicht als Heiliger des Herrn erwiesen hatte, so konnte er noch immer als Soldat Christi gelten und Tüchtiges leisten. Mit großen Sprüngen legte er den beträchtlichen Weg ins Lager zurück, um keine Minute seiner Pflicht zu versäumen. Dort herrschte ein unbeschreiblicher Arbeitstrubel. Lange Züge von Packeseln nickten vorbei, die mächtige Bürden von Eichen-, Buchenlaub und Nadelzweigen trugen. In Schubkarren wurden schwere Steine für die notwendigen Unterbauten herangerollt. Vater Tomasians Gehilfen maßen mit dem langen Meßband die Straßen aus und steckten den Raum der einzelnen Hütten ab. Schon stand da und dort bereits das schwanke Gerüst einer Wohnstätte. Die Familien wetteiferten miteinander in Geschwindigkeit. Nicht nur die starken Männer und Frauen arbeiteten, sondern auch die Kinder und die Uralten. Der Bau der öffentlichen Gebäude war schon in überraschendem Fortschritt begriffen, der Lazarettschuppen unter Bedros Altounis Aufsicht und der große Speicher. Meister Tomasian aber überwachte das Entstehen der Regierungsbaracke, die ein Werk seines Herzens war. Sie umfaßte einen großen Raum mit zwei Seitenkojen, der, aus Sicherheitsgründen, nach außen durch eine Tür mit einem Schloß versperrbar sein sollte.
     
    Inzwischen richtete auch Juliette ihr Leben auf dem Dreizeltplatz ein. Gabriel hatte sie ausdrücklich gebeten, auf niemand und nichts Rücksicht zu nehmen, auch nicht auf ihn. Alle anderen seien durch Volksangehörigkeit gezwungen, ihr Los zu tragen, wie es falle. Sie aber habe nichts damit zu tun, sie sei ein unschuldiges Opfer und daher berechtigt, jegliche Forderung zu stellen, die nur halbwegs erfüllbar sei. Auch in einer Sitzung des Führerrates hatte Gabriel Bagradian diese Sache zur Sprache gebracht:
    »Meine Frau hat auch hier auf dem Damlajik das Recht, ihr eigenes Leben zu leben, gesondert und nach ihrem Belieben. Ehe ist keine Blutsverwandtschaft. Wir anderen alle sind durch das Blut miteinander verbunden und daher auch den Gesetzen unterworfen, die

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