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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ging von Abschnitt zu Abschnitt, um Arbeit und Dienst der Zehnerschaften überraschend zu visitieren. Zufrieden begab er sich gegen Mittag auf seinen Kommando-Standort. Wenige Minuten später stürzten von allen Seiten die jugendlichen Späher heran. Meldung: Auf der Straße von Antiochia nach Suedja große Staubwolken. Viele, viele Soldaten! Vier Abteilungen. Dahinter Saptiehs und eine große Menschenmenge. Sie biegen eben in das Tal ein und marschieren schon durch das erste Dorf Wakef. Gabriel Bagradian bestieg den nächsten Späherpunkt in größter Hast und stellte folgendes fest: Die Marschkolonne einer kriegsstarken Infanteriekompagnie zog die Dörferstraße entlang. Er erkannte die reguläre Truppe sofort an dem berittenen Hauptmann, der sie führte, und den vier in Abständen marschierenden Zügen, die in leidlich taktsicherem Gleichschritt vorwärts zu schwanken schienen. Es mußte demnach ausgebildetes, vielleicht sogar kriegserfahrenes Militär sein, das in den Kasernen von Antakje lag und zu Dschemal Paschas neu aufgestellter Armee gehörte. Erst weit hinter der Kompagnie zottelten etwa hundert Saptiehs, während das Gesindel der Ebene, der menschliche Schwemmsand von Antiochia zu beiden Seiten der Marschkolonne einherstaubte. Der Aufmarsch dieser Streitmacht von fast vierhundert Gewehren (die Saptiehs mit eingerechnet) war so gottverlassen ahnungslos im offenen Gelände durchgeführt, daß Gabriel lange dem Glauben zuneigte, die Truppe habe ein anderes Ziel. Erst als nach einer kleinen Rast und Offiziersberatung die Kompagnie hinter Bitias gegen Nordwesten auf den Berg zuschwenkte, wurde es klar, daß der Feldzug den geflüchteten Dorfgemeinden galt. Entweder hatten sich Angeber aus den Nachbarortschaften gefunden, die der Lärm des Holzfällens über die Wahrheit belehrt hatte, oder war Harutiun Nokhudian solange gefoltert worden, bis er den Aufenthalt seiner Landsleute verriet. Wie dem auch sei, die Türken schienen zu vermuten, daß ihrer eine gewöhnliche Polizeiaufgabe harre, harmloser noch als die bekannte Deserteurjagd, und daß es sich nur um ein Freilager armseliger Bergbewohner handle, das aufzustöbern, zu umzingeln und ins Tal hinabzutreiben sei. Angesichts dieser Aufgabe mußten sie sich unendlich stark vorkommen, und sie waren es auch, wenn man bedenkt, daß die Armeniersöhne nur dreihundert gute Gewehre besaßen, wenig Munition und fast keine ausgebildeten Soldaten. Bereits als die Kompagnie Yoghonoluk erreicht hatte, ließ Gabriel Bagradian den großen Alarm durchführen, wie er ihn täglich mit Zehnerschaften und Lager geübt hatte. Die Münadirs, die Ausrufer, trommelten die Stadtmulde zusammen. Die Ordonnanzgruppe der Jugendkohorte stob über die ganze Hochfläche, um den Abschnittsführern die Befehle zu überbringen. Einige der halbwüchsigen Kundschafter wagten sich bis ins Tal vor, um die Gliederung und Bewegung des Feindes auszuforschen. Ter Haigasun, die sieben Muchtars, die älteren Mitglieder des Führerrates blieben inmitten des Lagervolkes, wie es verabredet war. Keiner wagte mehr zu atmen. Selbst den Säuglingen blieb das Lallen und Greinen im Halse stecken. Die Männer der Reserve umscharten, mit Äxten, Hacken und Spaten bewaffnet, in einem weiten Ring das Lager, um im Notfall bereit zu sein. Gabriel stand mit Tschausch Nurhan und den Unterführern beisammen. Der Fall war völlig vorgesehen. Da es sich aber um den ersten Kampf handelte und da kein andrer Verteidigungspunkt unmittelbar gefährdet war, so ließ er in den Nebenstellungen nur die notwendigste Besatzung zurück und warf alle verfügbaren Zehnerschaften in die Gräben des Nordsattels. Das System hatte vier Linien: Der Hauptgraben vor allem, der auf der kupierten Höhe der linken Sattellehne den Damlajik absperrte; einige hundert Meter dahinter der zweite Graben längs einer Bodenwelle; an der Stirnseite des Berges ferner der Graben der Flankensicherung mit vorgeschobenen Schützennestern; und auf der Meerseite endlich die glückhaft unübersehbare Barrikade aus zerrissenen Kalkfelsen. Den ersten Graben bezogen ungefähr zweihundert Mann, die besten Gewehre und voraussichtlich besten Kämpfer. Den Befehl über diesen Graben übernahm Bagradian selbst. Er hatte übrigens weder Sarkis Kilikian noch einen der anderen Deserteure unter diese Besatzung aufgenommen. Einen Teil der Elite-Zehnerschaften legte er unter dem Kommando Tschausch Nurhans in die Felsbarrikaden. In dem zweiten Graben standen weitere zweihundert

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