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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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gar nicht wehleidigen Gesicht Juliette sehr traurig an:
    »Wärst du doch geblieben, wo du warst, Schönste!«
     
    Iskuhi Tomasian war auf dem Damlajik weniger mit Juliette beisammen als im Hause von Yoghonoluk. Das Mädchen hatte an Ter Haigasun die Bitte gerichtet, als Hilfslehrerin der Schule zugeteilt zu werden, welchem Wunsche der Priester gerne willfahrte. Juliette ihrerseits war diesem Entschlusse mißbilligend gegenübergestanden:
    »Du hast dich bei uns kaum ein bißchen erholt und willst dich jetzt plagen? Wozu? Hat das in unserer Lage den leisesten Sinn?«
    Mit Iskuhi erging es Juliette noch immer sonderbar. Durch die tatkräftige Güte, die sie ihr vom ersten Augenblick an erwiesen hatte, schien sie nach der eigensinnigen Scheu nun auch die dienende Willigkeit überwunden zu haben, hinter der sich das Mädchen versteckte. Seit einigen Wochen schon erwies ihr Iskuhi gewisse äußere Zärtlichkeiten. Beim Morgen- und Abendgruß umarmte und küßte sie die ältere Freundin. Juliette aber spürte deutlich, daß diese Zärtlichkeiten nur Nachahmungen und Anpassungen waren, etwa so, wie jemand bestimmte Formeln einer unbekannten Sprache gebraucht, ohne sie genau zu verstehen. Das Harte in Iskuhi, der innerste Kristall, das Unbesieglich-Fremde blieb ungeschmolzen. Es läßt sich nicht verhehlen, daß Juliette unter der Uneinnehmbarkeit dieser Seele litt, da sich jede Verwundung ihres Machtgefühls sogleich gegen ihr eigenes Selbstbewußtsein wandte. Auch die Sache mit der Schule bedeutete eine Art Niederlage für sie. Iskuhi verbrachte nun viele Stunden des Tages auf der sogenannten Schulhalde, die weit ab vom Dreizeltplatz lag. Es gab eine große Klassentafel, eine Rechenmaschine, eine Landkarte des ottomanischen Reichs und eine stattliche Menge von Fibeln und Lesebüchern. War es nicht ein Sinnbild für dieses Volk, daß es in der Bedrängnis der Flucht nicht vergessen hatte, die Lehrmittel für seine Kleinen mitzunehmen? »Mutter Erde umherzt das gebildete Kind!« Mehrere hundert Rangen, ein ganzes Heer hockte, saß und lag auf einer Baumlichtung im Schatten, die Luft mit schneidendem Zwitscherlärm erfüllend. Da sich die gesamte Lehrerschaft zumeist im Stellungs- oder Lagerdienst befand, war Iskuhi oft stundenlang dieser zügellosen Bande allein ausgeliefert. Unter diesen vier- bis zwölfjährigen Wilden Ordnung zu halten oder Ruhe zu stiften, war ein Ding der Unmöglichkeit. Iskuhi hatte nicht die Kraft, den Kampf aufzunehmen. Da sie ihr eigenes Wort bald nicht mehr hören konnte, wartete sie resigniert, bis einer der erprobten Männer kam, Oskanian zum Beispiel, und die kleinen Teufel in bleichen Schrecken versetzte. Als eherner Militarist, der er nun war, schritt der Lehrer, das Gewehr in der Hand, durch den Kinderhaufen, als sei er bereit und habe nach Kriegsbrauch das Recht, jeden unbotmäßigen Schüler über den Haufen zu knallen. Die Weidengerte, mit der er zu allem übrigen noch ausgerüstet war, sauste auf Schuldige und Unschuldige nieder. Eine unglückselige Gruppe mußte auf spitzen Steinen knien, eine andere irgendwelche Gegenstände minutenlang hoch über den Kopf halten. Mit großartiger Verächtlichkeit hinterließ Oskanian nachher der stellvertretenden Lehrerin die Frucht seiner wehrhaften Pädagogik, eine geduckte Totenstille.
    Juliette sah schon am ersten Tag, daß diese Anstrengung Iskuhi durchaus nicht wohlbekam. Die gute Farbe verlor sich von ihren Wangen, das Gesicht wurde klein und die Augen wurden wieder so groß wie damals, als sie aus der Hölle der Verschickung heimgekehrt war. Mit Leidenschaft versuchte es Juliette neuerdings, das Mädchen von ihrem Pflichteifer abzubringen. Iskuhi sah sie verständnislos an. Wie dürfte sie sich jetzt, in dieser Stunde ihres Volkes, einer lächerlich geringfügigen Pflichterfüllung entziehen? Im Gegenteil! Sie wolle sich nun auch für den Nachmittag eine Arbeit suchen. Juliette wandte Iskuhi feindselig den Rücken. Ein flüchtiger Einfall flüsterte ihr zu, es sei nicht die Anstrengung des Unterrichtens, die an Iskuhi nage, sondern ein verborgenes Seelenleid. Schnell jedoch verjagte sie diesen Gedanken. Was hatte sie sich denn um die Schmerzen der andern zu kümmern, sie, die einsamer und unglücklicher war als alle?
    Juliette lag nun oft am hellichten Tage stundenlang auf ihrem Bett. Die Enge des Zeltes umpreßte sie. Durch den Spalt des Türvorhangs drangen zwei scharfe Sonnenstrahlen, die sie quälten. Sie besaß nicht die Kraft,

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