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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ganze Säulen um und zertrommelte stille efeuumwachsene Mauern. Zehn Minuten lang sah es aus, als habe der Berg die größte Lust, bis nach Suedja und an die Orontesmündung vorzurücken. Die Westgruppe des türkischen Korps wurde oberhalb des Dorfes Habaste vom Steinschlag gestreift. Die halbe Mannschaft konnte sich durch ein gnädiges Schicksal retten. Die andre Hälfte wurde getötet und verwundet, das Dorf selbst zum Teil zerstört. Nach einer Viertelstunde trat hohle Totenstille ein. Der Bergbruch lag wieder tückisch-friedlich in der Sonnenglut. Vom Nordsattel krachten dumpf die Granateinschläge der Haubitzen herüber. Als sich kein Steinchen mehr bewegte, pfiff Kilikian zum zweitenmal. Die erstarrten Deserteure und die anderen Kämpfer kamen in Bewegung. Unter Führung des Russen spazierte die Besatzung der Südbastion gemächlich die Bergstufe hinab, machte allen türkischen Verwundeten mit größter Ruhe den Garaus und raubte die Toten buchstäblich bis auf die Haut aus. Dieses Geschäft wurde mit gelassenster Gründlichkeit besorgt, ungeachtet des schweren Kampfes, den die Brüder im Norden zu bestehen hatten. Sarkis Kilikian vertauschte seine Lumpen mit der funkelnagelneuen Montur eines türkischen Infanteristen. Trotz des frischen Blutes auf dem Rock des Toten drehte und wendete sich der Russe hin und her, als fühle er sich neugeboren. Hrand Oskanian aber hatte den höchsten Punkt des Felsturmes erstiegen und schoß wie ein Toller in die Luft, um seinen Anteil an dem Siege zu bekräftigen. Während des imposanten Geknatters, das er verübte, wunderte er sich nicht wenig, was für ein unbeträchtlich Ding die Tapferkeit für einen tapferen Mann ist.
     
    Weder Gabriel Bagradian noch auch der Bimbaschi auf der Gegenseite wußten etwas von dem entsetzlichen Schicksal der Südgruppe. Im Kampfeslärm hatten beide den langen Donner der Lawine nur als ein fernes Rauschen gehört. Hier auf dem Nordsattel gestaltete sich die Schlacht sehr hart und unglücklich für die Armeniersöhne. Ob nun die Haubitzen vom Schicksal hoch begünstigt wurden, oder durch eigenes Verdienst so glänzend arbeiteten, Tatsache wars, daß nach einer Stunde langsamen Sperrfeuers vier Volltreffer einen Teil des großen Riegelgrabens zerstört hatten und daß drei verstümmelte Leichen und einige Schwerverwundete auf der Erde lagen. Gabriel Bagradian war immer wieder nur mit Not den heulenden Sprengstücken entgangen. Seine Haut war starr wie eingeregnetes Leder. Er spürte genau, daß er heute keinen souveränen Tag hatte. Die Einfälle und Entschlüsse sprangen nicht leicht wie sonst aus seinem Geist. Er hätte – dieser Vorwurf brannte – die Verluste vermeiden können. Zu spät gab er Tschausch Nurhan den Rückzugsbefehl. Doch war er klug genug, diesen auf der Felsseite durchführen zu lassen. Den Türken war es gelungen, in einem hohen Baum einen Beobachtersitz aufzuschlagen, von dem aus sie ein Stück des Grabens übersahen und die Feuerwirkung der Geschütze korrigieren konnten. Die Steinbarrikaden zur Rechten hingegen waren ihrem Blick entzogen. Im Bewußtsein des Unglücks vom vierten August fürchteten sie die erbarmungslosen Steilwände des Musa Dagh und wagten kein Umfassungsmanöver mehr. Die Verteidiger verließen einzelweise den Graben und drückten sich tiefgeduckt an den Blöcken und Vorsprüngen des Labyrinths vorbei, bis sie die Reservestellung erreichten, die ihrerseits auch wieder über einem Bodeneinschnitt lag. Der zweite Graben war heute nicht besetzt, da es Gabriel nicht gewagt hatte, auch nur eine einzige Zehnerschaft von den Verteidigungspunkten des Bergrandes abzuziehen. Er war fest überzeugt davon, daß die Türken auch noch an einer dritten Stelle einen Überfall versuchen würden. Eis in den Adern, wußte er, daß wenn dieser Reservegraben hier verloren ging, dem phantasievollsten Martertod von fünftausend Menschen, den je die Welt erlebt, nichts mehr im Wege stand. Der türkische Beobachtungsoffizier schien von der Rückzugsbewegung nichts bemerkt zu haben. Die Granaten fielen jetzt im Zeitabstand von je einer Minute auf den ersten Graben. Da sich dort nichts mehr rührte, hielt ihn der Bimbaschi für sturmreif. Eine endlose Pause verging, dann brach im Waldesdickicht der Gegenhöhe ein wüstes Trommeln und Trompeten aus. Die Schwarmlinien wurden von brüllenden Offizieren und Chargen vorgetrieben. Dieses Brüllen vermischte sich mit dem nicht ganz furchtlosen Sturmgeschrei der Mannschaft. Es waren

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