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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ihren Händen tragen mußten. Die Packesel, die man als Gespann benützte, erwiesen sich als artilleristische Zugtiere so gut wie unbrauchbar. Die Folge dieser Mißhelligkeit war eine Verspätung von zehn Stunden. Diese Truppe, die schon einen halben Tag früher als die erste aufgebrochen war, kam anstatt in der Nacht des dreizehnten August gegen Mittag des vierzehnten auf den Höhen des Musa Dagh an, welche sich nördlich des Sattels erstrecken. Der Doppelangriff, der für die erste Stunde nach Sonnenaufgang angesetzt war, wurde damit hinfällig. Der Hauptmann, der das Südkorps befehligte, und seine Soldaten, die den Kopf aus ihren Verstecken in den glühenden Ruinen nicht heben durften, waren durch das Ausbleiben des vereinbarten Angriffszeichens (der erste Haubitzenschuß) und durch das endlose Warten unter den Strahlen der erbarmungslosen Sonne schon völlig zermürbt. Noch schlimmer stand es um die Nordgruppe. Ein fünfzehnstündiger Gebirgsmarsch ohne Nachtruhe, nur durch drei kurze Rasten unterbrochen, lag hinter ihr. Der Oberst hätte sich sagen müssen: Ich werde heute meinen Leuten Ruhe gönnen, dem Hauptmann nach Suedja Botschaft senden und den Angriff auf morgen früh verschieben. Der bequemen Natur des alten Herrn gemäß würde auch jedermann hundert gegen eins gewettet haben, daß er diese Entscheidung treffen werde. Und doch geschah das Gegenteil. Bequeme Menschen sind sehr oft auch ungeduldige Menschen. Sind sie in eine unerwünschte Unternehmung verwickelt, so wollen sie mit ihr Knall und Fall fertig werden. Der Bimbaschi befahl dem Mülasim der Artillerie, seine Haubitzen sofort in Stellung zu bringen, ließ in großer Hast abkochen und führte bereits eine Stunde später seine Kompagnie in dünnen Schwärmen gegen die armenische Sattelstellung, wo sie sich zuerst in großem Respektabstand in kleinen Schluchten, hinter Bäumen und Felsblöcken mäuschenstill versteckte. Der alte Friedensoberst hielt keine feurige Ansprache an seine Soldaten, sondern fluchte anstatt dessen still in sich hinein. Er fluchte dem Kaimakam und dem Jüs-Baschi, er fluchte dem Etappen-General, der ihm anstatt zerlegbarer Gebirgskanonen diese dicken und unbeweglichen Haubitzen geschickt hatte, er fluchte vor allen Dingen auf Seine Exzellenz, den Herrn Armeekommandanten Dschemal Pascha, den er einen schwarzen, buckligen Schwindler nannte. All diese politischen Offiziere von Ittihad waren seiner Meinung nach freches Verrätergesindel. Sie hatten die Verschwörung gegen den alten Sultan angezettelt und hielten den neuen im Palast gefangen. Lächerliche Subalternoffiziere, die sich selbst zu Generalen, Exzellenzen und Paschas ernannten! Früher hätte es dergleichen Kaliber nicht einmal zum Jüs-Baschi gebracht. Und die Schande mit den Armeniern verdankte man auch nur diesen Ittihadschweinen. Zu Abdul Hamids goldener Zeit hatte es wohl öfters unter den Christenhunden ein Schlachtfest gegeben, aber nicht eine Schlacht, die ein hoher Stabsoffizier wie er, der Bimbaschi, liefern mußte. Der erschöpfte und zornige Mann wartete mit seinem Stab auf den Eröffnungsschuß. Er hatte dem Haubitzenleutnant befohlen, zuerst ein paar Lagen gegen die Wohnstätten des Armeniervolkes abzugeben. Nicht einmal die sogenannten Generalstabskarten dieses Ittihadgesindels in Stambul stimmten, und man mußte nach den Distanzen einer solchen Karte die Schrapnells und Granaten auf dem Bergrücken des Damlajik placieren. Der Bimbaschi rechnete damit, daß die Beschießung des Lagers unter den Frauen und Kindern eine Panik verursachen und auch den Kampfesmut der Männer herabstimmen werde.
    Die Berechnung war nicht unrichtig. Die Haubitzen hatten mehr Zufalls- als Zielglück. Von zwölf Geschossen gingen drei Schrapnells über der Stadtmulde nieder. Die Füllkugeln richteten nicht nur äußeren Schaden an, sondern verwundeten drei Frauen, einen alten Mann und zwei Kinder, glücklicherweise nur leicht. Der Volltreffer einer Granate jedoch zerstörte den Depotspeicher, setzte ihn in Brand und vernichtete den letzten Rest der Mehlvorräte sowie alles, was an Tabak, Kaffee, Reis und Zucker vorhanden war. Der Speicher stand in Flammen, und es muß eine Gnade Gottes genannt werden, daß das Feuer auf die nur mäßig entfernten Laubhütten nicht übergriff. Die Verwirrung unter dem Volk war ebenso groß wie das Unheil. Auf die Kämpfer aber wirkte das Geschützfeuer wie ein zehnfacher Alarm. Wer dienstfrei war, flog an seinen Posten. Nurhan Elleon brachte die

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