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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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verstörte, in die Enge getriebene Frau, sondern die Herrin von Yoghonoluk wieder, und schöner noch als damals. Die begehrte Frucht, auf deren Reifen er mit Geduld und Todesverachtung gewartet hatte, war ihm neuer und näher als je. Er nahm Juliette in die Arme wie zum erstenmal. Ihr Kopf taumelte sonderbar von der einen auf die andre Schulter. Er achtete dessen nicht. Und auch die sinnlosen Worte, die sie in traumhafter Leidenschaft zu stammeln schien, gingen an seinem Ohr vorbei.
     
    Bevor die Männer in ihren Gesichtskreis traten, wußte Sato noch nicht, was geschehen würde. Sie bewachte in einiger Entfernung den Ehebruch, war aber zu traurig und verdüstert, um sich zwischen die Büsche zu legen und das Paar zu beobachten. Ja, wenn sie ihre prickelnde Entdeckung wenigstens hätte ausschroten können! Wie wäre die alte Nunik hochbefriedigt und ihr zu Dank und Lohn verpflichtet gewesen dafür! Sato aber war gefangen. Sato durfte nicht mehr gewinnbringende Botschaft von Berg zu Tal, von Tal zu Berg, tragen. Umso brennender aber bohrte in ihr das einzige zusammenhängende Gefühl, das sie besaß, Eifersucht. Iskuhi von dem Effendi trennen! Dem Effendi etwas antun! Sie lag auf der Erde, die Knie hochgezogen, und starrte in den rauchverschleierten Himmel.
    Es geschah aber, daß sich ein paar Männer dem Orte langsam näherten. Sato erkannte die Häupter des Führerrates: Ter Haigasun, Bagradian Effendi, Pastor Aram, dahinter Lehrer Oskanian mit dem Muchtar Thomas Kebussjan und dem Dorfältesten von Bitias. Die Gewählten hatten eine kurze, aber sehr ernste Beratung abgehalten und schienen äußerst bedrückt. Sie hatten auch allen Grund zur Beängstigung. Die Lebensmittel, das heißt die Herden, verringerten sich nicht in vorgesehener Weise, sondern nach den unbekannten Gesetzen einer wilden Progression, die sich steigerte, je mehr der Bestand abnahm. Man drosselte immer wieder die Tagesration, ohne den Verfall, der mit dem schlechten Futter zusammenhing, aufhalten zu können. So sehr Aram Tomasian auch dahinter war, die Zurüstungen für den Fischfang kamen zu keinem Ende. Die Ernährungslage sah böse aus. Auch die ansteckende Fieberkrankheit nahm besorgniserregende Formen an. Allein am gestrigen Tage waren im Epidemie-Wäldchen vier Kranke gestorben. Bedros Hekim konnte sich auf seinen schwachen und alterskrummen Beinen kaum mehr schleppen. Im und um den Lazarettschuppen lagen mehr als fünfzig Verwundete und mindestens ebensoviel in den Laubhütten, alle ohne zureichende Verbände, ohne rechte Arznei, Gott und sich selbst überlassen. Das Bedenklichste jedoch war die brenzlige Verdrossenheit, die sich als unerwartete Folge des Sieges der Menschen bemächtigt hatte. Sie wurde durch die grauenhafte Hitze des Waldbrandes, durch den Rauchschnupfen, durch die schwere Übermüdung, durch die kärgliche und abwechslungslose Fleischkost wohl gefördert, hatte aber ihre tiefste Ursache in der allgemeinen Unerträglichkeit dieses Lebens. In den letzten zwei Tagen war es, abgesehen von dem Vorfall mit Sarkis Kilikian, zu zahlreichen Raufhändeln, darunter sogar zu Messerstechereien gekommen. All diese Gründe zusammen bewogen die Verantwortlichen heute, ihr Augenmerk der Meerseite des Damlajik schärfer zuzuwenden als bisher. Man weiß, daß auf der Schüsselterrasse, die sich ganz außerhalb der Ereignisse befand, die große Fahne »Christen in Not« flatterte. Zwei Späher aus der Jugendkohorte übten dort das Amt, die See nach Schiffen abzusuchen. Es schien immerhin möglich, daß irgendwelche unzuverlässige Burschen ein oder sogar mehrere Fahrzeuge übersehen hatten, denn bisher war noch nicht einmal ein Fischkutter gemeldet worden, und das im August, zu einer Zeit, wo sonst die Bucht von Suedja von derartigen Barken wimmelt. Ließ Gott wirklich das Meer völlig aussterben, nur damit den Armeniern des Musa Dagh die allerleiseste Lebenshoffnung entzogen werde? Der Führerrat hatte beschlossen, den Wachdienst der Seeseite zu verstärken und neu zu ordnen. Den Posten auf der Schüsselterrasse hatten nunmehr erwachsene Männer zu beziehen. Ferner sollte auf einem weiter südlich gelegenen kapartigen Punkt eine zweite Beobachtungsstation errichtet werden. Um den geeignetsten dieser Punkte persönlich ausfindig zu machen, waren die Gewählten aufgebrochen.
    Der weiche kurzrasige Höhenboden verschluckte selbst für Satos Ohren den Tritt der schweigenden Männer. Als sie sich zur Seite wälzte, waren sie schon sehr nahe.

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