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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Thermosflasche, ein Gefäß mit Butter auf den Spiegeltisch stellte und dazu zwei Wecken feinen Weißbrots legte:
    »Auf Befehl des Herrn Chefarztes, Tee, Brot und Butter für Madame, vorläufig …«
    Er verkündete dies im Tone einer militärischen Meldung, indem er die Hacken zusammenschlug und sein stupsnäsiges Kinderprofil dem Bette zuwandte, ohne die Frau anzusehn. Eine rührende Haltung täppischer Verlegenheit. Juliette aber ließ einen wimmernden Seufzer vernehmen, worauf die beiden Sanitäter in dem Gefühl, der Kranken zur Last zu fallen, auf behutsam ungeschlachten Zehenspitzen das Zelt verließen. Sie folgten Mairik Antaram zum Lazarettschuppen, den das Feuer verschont hatte. Dort war schon das gesamte Sanitätspersonal des Panzerkreuzers versammelt, um die Verwundeten und Kranken an die Küste zu schaffen. Juliette streckte den beiden Landsleuten sehnsüchtig die Arme nach, dann aber warf sie die Decke ab und setzte sich auf den Bettrand. Die Verpuppung war endgültig durchbrochen. Mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, fühlte sie ihr wirr zerzaustes Haar. Entsetzt flüsterte sie vor sich hin:
    »Franzosen, Franzosen! Wie sehe ich aus! Franzosen!«
    Plötzlich aber wars, als schieße in dem ausgetrockneten Körper eine Feuersäule der alten Energie auf. Sie setzte sich ans Spiegeltischchen. Ihre steifgewordenen, unsicheren Finger warfen alles durcheinander, was sich noch an Schönheitsmitteln fand. Sie kleckste Rouge auf ihre Wangen, ohne die Schminke zu verwischen, wodurch ihr Gesicht noch krankhafter und welker aussah. Dann bearbeitete sie ihren Kopf mit Kamm und Bürste, immer wieder »Wie sehe ich aus?« vor sich hinflüsternd. Ihren schwachen Kräften jedoch gelang es nicht, das widerspenstige Haar zu bändigen. Da legte sie ihren Kopf auf die Arme und begann fassungslos zu schluchzen. Wie immer tat ihr das Erbarmen mit sich selbst so streichelnd wohl, daß sie dann die Haare überhaupt vergaß und offen herabhängen ließ. Ein neuer scharfer Schreck: Franzosen, Franzosen! Was soll ich anziehn? Sie begann ihre Sachen zu suchen, den Schrankkoffer, das andre Gepäck. Nichts! Der Raum war leer. Juliette jagte gehetzt die wenigen Schritte durch das Geviert um und um. Es war wiederum jene Traumangst, barfuß und im Nachtgewand in einer glänzenden Gesellschaft erscheinen zu müssen. Nach langem vergeblichen Suchen wagte sich Juliette endlich vors Zelt. Der goldklare Septembertag warf sie beinahe zurück. Im nächsten Augenblick aber kniete sie vor dem Schrankkoffer. Wer hatte ihr diese Gemeinheit angetan? Iskuhi? Alles herausgerissen, durcheinandergeknüllt, zerfetzt. Kein einziges Kleid in Ordnung, von diesen verschollenen vorjährigen Lumpen. Sie hatte nichts, gar nichts zum Anziehn und sie mußte doch schön sein, denn die Franzosen waren da. Mairik Antaram fand Juliette auf der Erde sitzen, mitten unter den Häuflein von Hemden, Strümpfen, Kleidern und Schuhen, welche die Räuber verschont hatten. Sie konnte sich vor Erschöpfung nicht mehr rühren, jammerte aber hartnäckig:
    »Die Franzosen sind da, die Franzosen sind da … Was soll ich anziehn …«
    Mairik Antaram starrte die Kranke an, als traue sie ihren Ohren nicht. War es möglich, daß diese Frau, die nach ihrer Wiederkehr ins Leben noch kaum ein Wort gesprochen hatte und sich mit allen Kräften gegen das furchtbare Wissen wehrte, jetzt an Kleider denken konnte? Langsam aber begriff Antaram, was in Juliette vorging. Keine Eitelkeit. Ihre Brüder kamen ja. Sie schämte sich, sie wollte ihrer Brüder würdig sein. Frau Altouni kniete neben Juliette nieder und begann nun auch, in dem bunten Haufen zu wühlen. Was immer sie aber hervorzog, erregte den Zorn Juliettens. Nach langer Zeit, innerhalb welcher die Kranke auf diese sonderbare Art mit ihrem Schicksal getrotzt und Mairik Antaram himmlische Geduld bewiesen hatte, fand doch irgend ein Gewand Gnade. Ein steifes und festliches freilich mit einem spitzenbesetzten Halsausschnitt. Während die alte Frau, die in solchen Künsten wahrlich kein Geschick besaß, der fast Bewegungslosen mit größter Mühe dieses Kleid anlegen half, stöhnte Juliette:
    »Es ist nicht passend …«
    Welches Kleid aber wäre passend gewesen, die brüderlichen Retter zu empfangen, die ein zerbrochenes Leben doch nicht erretten konnten.
     
    Gabriel war dem Contre-Admiral vorausgeeilt, um seine Frau auf den Besuch vorzubereiten. Bei seinem Eintritt saß Juliette auf dem Bettrand. Mairik Antaram hielt eine

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