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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Tasse in der Hand und versuchte der Widerspenstigen den Tee aufzuzwingen wie einem ungezogenen Kind:
    »Willst du für die Franzosen schön sein, so mußt du dich stärken, sonst nützen dir all deine Kleider nichts …«
    Juliette erhob sich förmlich, als sei ein Unbekannter eingetreten, dem sie folgen müsse. Mit einem Blick auf die beiden Menschen verließ Mairik Antaram das Zelt. Eines der Brote nahm sie mit, denn sie selbst war ja dem Hungertode nah. Gabriel sah mit grellem Bewußtsein sein altes Leben und die Unüberbrückbarkeit zwischen sich und ihm. Dieses alte Leben trug ein schweres Taftkleid, das bei jeder Bewegung die Vergangenheit rauschen ließ. Die Wangen aber und die Glieder des alten Lebens hatten Farbe und Fülle verloren, die Gestalt konnte kaum freistehn und weckte Erbarmen. Gabriels Kehle verengte sich. Wie nahe noch war ihm Juliette während ihrer Krankheit gewesen. Jetzt erst, da er sie in der feierlichen Seide vor sich sah, ermaß er ganz den Abgrund der vierzig Tage. Er mußte sich bei seinen Worten sehr zusammennehmen:
    »Jetzt bist du wieder wie früher, chérie, Gottlob …«
    Er fragte sie, ob sie schon Kraft genug habe, dem Contre-Admiral des französischen Geschwaders ein paar Schritte entgegenzugehen. Hier in dem dunklen Krankenzelt wolle sie ihn gewiß nicht empfangen. Juliette blickte sich in dem Gehäuse um, das sie noch vor einigen Stunden zu ihrem Grabe bestimmt hatte. Dann machte sie eine leichte und doch sehnsüchtige Bewegung gegen ihr kleines Kopfkissen hin. Gabriel nahm ihren Arm:
    »Am Abend wirst du all deine Sachen bei dir haben, Juliette. Nichts wird vergessen werden …«
    Trotz dieser Beruhigung aber drehte sich Juliette im Zelteingang noch einmal nach der Dunkelheit um, wie Eurydike nach dem Hades.
    Der Contre-Admiral kam, nur von seinem Adjutanten und einem jungen Offizier begleitet. Man hatte ihn davor gewarnt, sich der Rekonvaleszentin allzusehr zu nähern. Die Fieberkrankheit auf dem Musa Dagh schien von höchst verdächtiger Art zu sein. Der Flottenchef aber war ein mutiger Mann, bei dem Warnungen zumeist das Gegenteil bewirkten. Er ging mit seinem straffen Schritt, der Jugendlichkeit übertrieb, auf Juliette zu und küßte ihr die Hand:
    »Auch Sie, Madame, haben als Französin, als Fremde, einen hohen Anteil an den Leiden und Taten auf diesem Berg. Erlauben Sie mir, daß ich Sie zu dem guten Ausgang beglückwünsche.«
    Über Juliettens verfallenes Gesicht zog ein schmachtender Schatten:
    »Und Frankreich, mein Herr …«
    »Frankreich geht durch eine fürchterliche Zeit und muß auf die göttliche Gnade hoffen …«
    Juliettens Zustand schien den alten Herrn sehr zu bewegen. Er nahm ihre verschrumpfte Hand zwischen seine Hände:
    »Wissen Sie, mein Kind, daß ich Sie hier wahrscheinlich nicht zum erstenmal im Leben sehe … Damals müssen Sie freilich noch ein sehr kleines Geschöpf gewesen sein, als ich einen ganzen Tag bei Ihren jungverheirateten Eltern verbrachte … Wenn ich mit Ihrem Herrn Vater auch nicht gerade eng befreundet war, so gehörten wir in unsrer Jugend doch ungefähr demselben Kreise an …«
    Juliette schluchzte kurz auf, doch es kam nicht zum Weinen, sondern nur zu einem seltsam abgerissenen Geplapper:
    »… Natürlich … Das Haus wurde nach Papas Tod verkauft … Aber Mama … Mama wohnt jetzt … Ach, ich habe die Straße vergessen … Sie wissen nichts von ihr, mein Herr … Aber meinen Schwager werden Sie wohl kennen … Ich meine den aus dem Marineministerium … Ein hoher Beamter … Wie heißt er nur … Mein Kopf … Coulomb, selbstverständlich, Jacques Coulomb … Sie kennen ihn … Ich sehe meine Schwestern nur selten … Aber wenn ich wieder in Paris bin, da werde ich alle meine Freunde und Freundinnen sehn, nicht wahr? … Sie bringen mich doch nach Paris …«
    Juliette taumelte. Der Admiral hielt sie fest. Gabriel lief ins Zelt und brachte einen Stuhl. Nun saß die Kranke. Trotz ihrer Schwäche aber ließ die Geschwätzigkeit nicht von ihr ab. Wahrscheinlich fühlte sie die Verpflichtung, Konversation zu machen. Ihr Geplapper wurde immer steifer, papageienhafter. Sie nannte immer wieder neue Namen, gemeinsame Bekannte, wie sie wähnte. Ihre Rede sprang zusammenhanglos und flüchtig von einem zum andern. Der Contre-Admiral fühlte sich sichtbar unbehaglich. Endlich rief er den jungen Offizier herbei:
    »Sie werden für alles sorgen, mein Freund, und Madame begleiten … Die ›Jeanne d’Arc‹ ist

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