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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ein Kriegsschiff und Bequemlichkeiten findet man auf einem Kriegsschiff nicht. Wir wollen aber alles versuchen, um Ihnen die Reise angenehm zu machen, liebes Kind …«
    Auch nachdem der Contre-Admiral, von Gabriel ein Stück geleitet, schon gegangen war, hielt Juliettens papageienhafte Geschwätzigkeit unvermindert an. Der junge Offizier, den der Chef gleichsam als Schutz- und Ehrenkavalier zurückgelassen hatte, sah beklommen auf die farblosen Lippen der armen Frau, die unablässig Fragen hervorsprudelten, die er nicht beantworten konnte. Dabei schien im Innern dieser Kranken etwas Schreckliches vorzugehn, denn sie atmete kurz und die Schlagader an ihrem Halse jagte sichtbar. Auch wurden die Schatten unter ihren Augen immer tiefer. Der Offizier war froh, als Bagradian zurückkehrte und ein wenig später die Sanitäts-Matrosen mit der Tragbahre kamen. Juliette sträubte sich zuerst:
    »Da lege ich mich nicht hin … Das ist ja eine Schande … Ich werde lieber gehn …«
    Gabriel streichelte ihre Hand:
    »Das kannst du nicht, Juliette. Sei vernünftig und streck dich aus! Glaub mir, auch ich würde mich am liebsten hinuntertragen lassen.«
    Die beiden Milchgesichter lachten fröhlich aufmunternd:
    »Unbesorgt, Madame, wir tragen Sie vorsichtig wie Glas. Sie werden gar nichts spüren.«
    Juliette ergab sich und wurde, als sie auf der Tragbahre lag, wieder ganz still. Gabriel aber brachte eine Decke, schob ihr das geliebte Kissen unter den Kopf und übergab ihr Handtäschchen dem Offizier. Dann fuhr er seiner Frau noch einmal übers Haar:
    »Sei ruhig … Es wird nichts Wichtiges zurückbleiben …«
    Jäh unterbrach er sich. Der Offizier warf ihm einen fragenden Blick zu. Gabriel nickte. Die Träger nahmen die Bahre auf und gingen die ersten Schritte. Sato wartete erregt abseits, um die Führerin dieses Transports zu machen.
    »Ich werde euch schnell eingeholt haben«, rief Bagradian seiner Frau nach. Juliette aber machte eine so heftige Bewegung, daß die Träger innehielten und die Bahre auf die Erde stellten. Ein zerfetztes Wahnsinnsgesicht wandte sich Gabriel zu, und eine Stimme, die er noch niemals gehört hatte, gellte:
    »Hörst du? … Stephan … Kümmre dich um Stephan!!«
     
    Auch in der Erlösung war das Maß des Leidens noch nicht voll. Aus dem Tomasian-Zelte rief es:
    »Gabriel Bagradian, so kommen Sie doch!«
    Gabriel hatte Iskuhi bei ihrem verwundeten Bruder vermutet. Sie ließ sich nicht blicken. Er trat in Arams Zelt. Alles Gewesene war ja widersinnig gleichgültig geworden. Er fand den Pastor in fiebernder Erregung:
    »Wo ist Iskuhi, Gabriel Bagradian, um Jesu willen, wo haben Sie Iskuhi gelassen?«
    »Iskuhi? Sie war nach Mitternacht eine Weile bei mir auf der Geschützkuppe. Dann habe ich sie gebeten, zu meiner Frau zu gehn …«
    »Das ist es ja«, schrie der Pastor. »Noch am Morgen war ich fest überzeugt, daß sie bei Ihnen in der Linie ist … Sie ist nicht zurückgekommen, sie ist verschwunden … Ich habe Leute ausgesandt … Seit Stunden sucht man sie schon … Die französischen Sanitäts-Matrosen wollten mich längst hinunterschaffen … Aber ich verlasse den Berg nicht ohne Iskuhi … Wenn ihr etwas geschehn ist … Ich verlasse den Berg nicht …«
    Er klammerte sich an Gabriels Arm fest und stemmte sich trotz seiner Wunde empor:
    »Ich bin der Schuldige, Bagradian … Das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären … Aber ich bin der Schuldige … Wenn mich Gott in meinem Kind und in meiner Schwester persönlich straft, nachdem er uns allen die Gnade gesandt hat, so ist das nur gerecht … Auch meine Frau war nur ein Werkzeug der Prüfung …«
    »Und wo ist Ihre Frau?« fragte Gabriel sehr ruhig.
    »Sie ist hinuntergelaufen. Mit dem Kind. Man hat ihr gesagt, daß es unten Milch gibt. Da war sie nicht zu halten …«
    Die Erregung übermannte den Verwundeten. Er versuchte aufzustehn, fiel aber gleich wieder zurück.
    »Verflucht, ich kann nichts tun, ich kann mich nicht rühren … Tun Sie etwas, Bagradian. Auch Sie haben Schuld an Iskuhi … Auch Sie …«
    »Warten Sie, Pastor … Ich gehe …«
    Gabriel sagte das mit schleppendem Ton. Dann bewegte er sich fort, über den Dreizeltplatz und noch ein Stück hinaus. Er kam aber nicht weit, sondern setzte sich irgendwo nieder und starrte ins Blaue. Durch seinen matten Sinn zog immer derselbe Gedanke: Dies also ist die Rettung! Er versuchte, das Nacht-Gespräch mit Iskuhi sich ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte

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