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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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türkischer Eseltreiber verprügelt, und es steht gar nicht fest, ob von jenen Deserteuren. Einige Ungläubige behaupten, der verlauste Kerl habe sich für ein Bakschisch der kaiserlich ottomanischen Regierung selbst so übel zugerichtet. Doch Scherz beiseite, der Mann lag wirklich zuschandengeschlagen im Straßengraben. Hiemit aber war die ersehnte Vorfallenheit gegeben. Die Müdirs und Unterbeamten legten undurchdringliche Gesichter an, die Saptiehs patrouillierten nur mehr in Doppelposten durch die Gassen und Nazareth Tschausch wurde diesmal zum Kaimakam vor- und nicht ein geladen.
    Revolutionäre Umtriebe nähmen in bedenklichster Weise überhand, klagte der Kaimakam. Seine Vorgesetzten, insbesondere der Mutessarif von Marasch, forderten durchgreifende Vorkehrungen. Wenn er noch länger zögere, sei es um ihn geschehn. Er rechne daher fest auf die Hilfe seines Freundes Nazareth Tschausch, der ja im Bezirk das größte Ansehn genieße. Es werde dem Muchtar ein leichtes sein, im Interesse der armenischen Millet einige Aufrührer und Verbrecher ans Messer zu liefern, die im Umkreis oder gar in der Stadt selbst verborgen seien. Hier ging der kluge Mann dem Dummkopf in die Falle. Er hätte sagen müssen:
    »Effendi! Ich stehe Seiner Exzellenz, dem Mutessarif und dir zu Diensten. Befiehl, was zu geschehen hat.«
    Anstatt dessen aber gab er sich zum erstenmal eine Blöße: »Ich weiß nichts von Verbrechern und Revolutionären, Effendi.«
    »So kannst du uns den Platz nicht nennen, wo sich das Gesindel versteckt, um bei hellichtem Tage redliche Staatsbürger zu überfallen?«
    »Da ich das Gesindel nicht kenne, so kenne ich auch seinen Aufenthaltsort nicht.«
    »Das tut mir leid. Das Schlimmste aber ist, daß du in der letzten Freitagnacht zwei von diesen Staatsfeinden in deinem eigenen Hause empfangen hast.«
    Nazareth Tschausch hob seine gichtischen Finger zum Schwur und leugnete. Es klang aber nicht sehr überzeugend. Da hatte der Kaimakam einen Einfall und es war kein Einfall der Tücke, sondern entsprang aufrichtig seinem bequemen Wesen, das alle Härte verabscheute:
    »Weißt du was, Muchtar? Ich habe eine Bitte an dich. Mir werden all diese Ungelegenheiten mit euch nachgerade zuwider. Ich bin ein friedlicher Mann und kein Polizeihund. Nimm mir die Sache ab. Ich bitte dich, nach Marasch zu fahren! Sprich du mit dem Mutessarif! Du bist der Stadtvater, er ist der Verantwortliche. Meine Meldung über das Vorgefallene hat er in der Hand. Ihr beide werdet das Richtige schon ausfindig machen.«
    »Ist das ein Befehl, den du mir gibst, Effendi?«
    »Ich sage dir doch, eine persönliche Bitte. Du kannst sie ablehnen, aber es würde mich schmerzen.«
    Der Kaimakam rechnete mit einem zwiefachen Gewinn. Er wurde Tschausch los, ehe er ihn einsperren mußte, und überstellte zugleich dem Mutessarif die wichtigste Persönlichkeit der Stadt zur Amtshandlung. Nazareth Tschausch dachte lange nach. Die Querfalten über seiner Nasenwurzel reichten hoch in die Stirn. Er richtete sich an seinem Stock auf. Aus dem überlegenen war plötzlich ein schwerfälliger Mann geworden.
    »Wenn ich nach Marasch gehe, begebe ich mich in Gefahr …«
    Der Kaimakam erwies ihm beruhigende Güte:
    »Gefahr? Warum? Die Straße ist sicher. Ich will dir meinen eigenen Wagen leihen, und zwei Saptiehs sollen ihn zu deinem Schutz begleiten. Auch bekommst du einen Empfehlungsbrief an den Mutessarif mit, den du vorher lesen kannst. Und wenn du noch andre Wünsche hast, so werde ich sie erfüllen.«
    Die gefurchten Züge des Berg-Armeniers wurden ganz grau. Er stand alt und verfallen da wie der Stadtfelsen von Zeitun. Verzweifelt suchte er nach Gegengründen. Aber seine Lippen unter dem hängenden Schnurrbart regten sich nicht. Eine unbekannte Macht lähmte seinen Willen. Er nickte nur schwach. Am nächsten Tag verabschiedete er sich von den Seinen ohne viel Aufhebens. Eine kleine Reise. Er werde kaum eine Woche ausbleiben. Sein ältester Sohn begleitete ihn zum Wagen des Kaimakams. Das Einsteigen fiel ihm wegen seiner kranken Hände und Füße schwer. Der Jüngling stützte ihn. Während Tschausch den einen Fuß aufs Trittbrett hob, sagte er gelassen und leise, damit der Kutscher nichts höre: »Oglum, bir, daha gelmem. Mein Sohn, ich werde nicht wiederkehren.«
    Er behielt recht. Der Mutessarif von Marasch machte mit Nazareth Tschausch nicht viel Federlesens. Trotz des warmen Geleitbriefes wurde er als Träger einer ihm verhüllten Schuld empfangen,

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