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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Dagh, der leer sich dehnt wie eben erschaffen. Nur zwei sind da, Gott und Gabriel Bagradian. Und Gabriel Bagradian ist von Gottesgnaden, ist wirklicher als alle Menschen und alle Völker!!
    Auf der Höhe dieses Stolzes befällt ihn eine leichte Schwäche. Die Frauen! Wo Frauen sind, da ist auch männliche Schuld. Gabriel hat jene sanfte Bergstufe erreicht, wo heute die Krankenträger Rast hielten und Iskuhis Augen zu ihm vom Abschied sprachen. Er sieht aber nicht Iskuhi, sondern Juliette in ihrem Taftkleid. Was wird aus ihr werden? Gabriel bleibt einen Moment lang stehn und blickt aufs Meer hinaus. Die Schiffe ziehen so langsam. Sie haben noch immer nicht die Mitte der hochgestellten Meeresfläche gewonnen. Noch könnten ihn die Männer im Auslug vielleicht sehn, wenn er den Mantel über dem Kopf kreisen ließe. Doch ein andrer Gedanke beschäftigt ihn. Juliette wird frei sein und hat es dann leicht, die französische Staatsbürgerschaft zurückzuerhalten. Wenn es sich herausstellt, daß er verschollen ist, dann wird sich der Admiral und die ganze Welt ihrer liebevoll annehmen. Diese klare Überlegung steigert noch seine Freiheit. Er geht jetzt bedächtiger und mit leicht gesenktem Kopf eine Felshalde entlang, ehe der Steig in Wald und Buschwerk mündet. Gabriel hat wieder zwei Biegungen zurückgelegt, als er plötzlich zusammenschrickt. Ist das möglich? Hat sich Iskuhi tatsächlich im letzten Augenblick irgendwo versteckt, um zurückzubleiben und bei ihm zu sein? Während der nächsten Sekunden erscheint ihm dies nicht als verstiegene Phantasie. Seine Sinne glauben es sogar inbrünstig. Denn Iskuhis Schritt ist hinter ihm. Er unterscheidet das spitze, bestimmte Nachklappen ihrer Absätze. Wo werden wir sein, Schwester, du und ich? Sie hat ihr Wort wahr gemacht: Bei dir. Er sieht sich nicht um, läuft ein großes Stück weiter, bleibt dann stehn. Iskuhis leichter, gleichmäßiger Schritt ist unabwendbar hinter ihm. Immer deutlicher ein Frauenschritt, der emporsteigt. Der Weg raschelt, die Erde knirscht, Steine rollen seitab. Gabriel wartet. Nun müßte Iskuhi ihn schon erreicht haben. Aber der Schritt tickt immer gleich nah und gleich fern. Endlich spürt er, daß Iskuhis Schritt nicht außer ihm, sondern in ihm vorgeht. Seine Hand gleitet am Körper hinab und verhaftet die Taschenuhr. Wie er sie nun hervorzieht, wird das Ticken so laut, daß es nicht mehr einem Frauenschritt, sondern den hartnäckigen Schlägen eines feinen Hammers auf Gestein gleicht. Die Einsamkeit übertreibt den Laut. Oder ist es Gabriels persönliche Zeit, die sich in der Steigerung seines Lebens mitsteigert?
    Er hält noch immer die Uhr in der Hand, als der Schatten von der allerletzten Gewißheit weicht. Der Schlaf vorhin ist kein gewöhnlicher Schlaf gewesen. Dieser Schlaf war vorgesehen, um seiner Schwachheit zu helfen, damit er seine Bestimmung erfüllen könne. Ohne ihn wäre er zurückgesunken. Doch Gott hat etwas andres mit ihm vorgehabt. Wann war das nur? Ist es eine Einbildung oder hat er diese Worte wirklich gesprochen: Seit einiger Zeit habe ich das felsenfeste Gefühl, daß Gott etwas mit mir vorhat … Nun kennt er das Vorhaben in seiner ganzen Tiefe. Da ist es nicht mehr die Freiheit und freudige Getrostheit nur, die ihn durchflutet. Nein, etwas ganz und gar Neues bestürmt sein Wesen. Der Jubel des übernatürlichen Zusammenhangs, der geistige Strahl: Mein Leben ist gelenkt und daher geborgen. Mit leicht geöffneten Augen wandert er weiter, den Weg nicht fühlend. Die nächste Felslichtung öffnet sich. Immer hochgebauter steigt der Meereshorizont. Das Geschwader rückt, in der dreieckigen Form des Storchflugs, allmählich in größere Fernen. Gabriel aber späht nicht mehr nach den Schiffen. Er sieht in den Nachmittagshimmel, dessen Blau sich immer golddunkler färbt. Jetzt weiß er den Vater so stark, wie er ihn nur als kleines Kind gewußt hat. Die Schale wölbt sich tief und tiefer und ist kein kalter astronomischer Weltraum mehr, sondern der Ort des Empfangenwerdens. Schon verliert sich der Weg in der letzten Steigung. Gabriel spürt ihn nicht. Noch immer hält er die Arme leicht geöffnet und blickt in den schattigen Himmel. Jeder Schritt, den er tut, ist eine Darbringung. Doch auch oben herrscht keine Starrheit. Auch dort bewegt sich ein opferndes Entgegenkommen auf ihn zu.
    Er durchquert den Gürtel der Myrten und Rhododendronbüsche. Müßte er nicht an die nächsten Stunden denken, an die Nacht, an ein sicheres

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