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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Bootsrand hinaushängen und im kühlen Kielwasser der Luft entzückt nachschleifen. All diese Beweise des Lebensglücks erweckten aber nur das Unbehagen und den Zorn der Reisenden. Iskuhi stieß ihre Knie zur Seite. Der Pastor, der neben dem Wagen ritt, drohte Sato, er werde sie, wenn sie nicht ruhig sitze, entweder erbarmungslos aus dem Wagen werfen oder ihr bestenfalls die Hände fesseln.
    Die ermüdende Reise nach Aïntab – man mußte zweimal in elenden Dorf-Chanen übernachten – verlief ohne Zwischenfall. In Aïntab selbst rasteten sie drei Tage. Die Armeniergemeinde hatte auf das Telegramm E. C. Woodleys hin die neuen Pferde schon bereitgestellt. Seitdem am gestrigen Tag der erste Zeitun-Transport in der Stadt eingetroffen war, und sie die Elenden mit ihren eigenen Augen sahen, warteten die Armenier von Aïntab fassungslos auf ihr eigenes Ende. Sie verließen kaum mehr ihre Häuser. Furchtbare Gerüchte gingen um. Es hieß, die Regierung werde mit Aïntab kürzeren und auch billigeren Prozeß machen: der armenische Stadtbezirk würde einfach niedergebrannt und die Einwohner zusammengeschossen werden. Dennoch überbot sich die Gemeinde an Liebesbeweisen gegen den Pastor und die Frauen. Es war, als hofften sie in diesen geretteten Opfern selbst mitgerettet zu werden. Aram Tomasian versuchte Sato in der Stadt unterzubringen. Sie klammerte sich aber mit solchem Entsetzen an Iskuhi, daß er sie schließlich wieder auf dem Rücksitz mitnahm, vielleicht zur Buße für seine eigene Sünde.
    Noch bis Aleppo ging alles gut, obgleich man vier Tage lang über die Pässe des Taurus hinschlich, die größten Schwierigkeiten in den Stationen mit dem Pferdewechsel hatte und zweimal die Nacht in leeren Scheunen verbringen mußte. Die große Stadt aber mit ihrem Riesenbazar, den gepflasterten Straßen, den vielen Amts- und Militärpalästen, den schönen Gärten, den prächtigen Missionen, Hotels und Herbergen wirkte wie eine Erlösung auf die seelisch und körperlich Heruntergekommenen. Trotz der scharfen Untersuchung durch die Saptiehs an der Stadtgrenze – Sato und Kework waren nach einigen herzklopfenden Minuten als Dienerschaft durchgeschlüpft – senkte das Straßenbild der gleichgültig ziehenden Menschenströme den Schein der Freiheit in die Seele der Unfreien. Der Empfang durch die Missionare und die Gemeindevertretung unterschied sich jedoch gewaltig von der Aufnahme in Marasch und Aïntab. Die Missionare waren hier mit soviel Geschäften, Verpflichtungen, Lasten überhäuft, es ging bei ihnen so bürokratisch zu, daß Aram ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen wollte. Nur zwei bescheidene Zimmer erbat er für sich und seine Familie. Die armenische Gemeinde wiederum war steinreich und daher auch hartherziger und ängstlicher als die kleinen Leute von Aïntab. Die Sorge um ihr Schicksal war ja verschärft dadurch, daß sie mehr zu verlieren hatten als jene. Und noch eines: Als der Pastor von Zeitun sprach, merkte er sofort, daß der Name des verfemten Ortes bei seinen großstädtischen Brüdern beklommene Gefühle erweckte. Sie wollten offenbar vor der Obrigkeit mit jenen nichts zu tun haben, die als hartnäckige Aufrührer angeprangert waren. Die Anwesenheit des Zeituner Pastors in ihrer Kanzlei konnte ihnen Verlegenheiten bringen. Jetzt galt es, um der eigenen Rettung willen, sich in fanatischer Staatstreue selbst zu überbieten und keinen bedenklichen Umgang zu pflegen. Man trug dem Pastor eine Geldunterstützung an. Sonst aber könne man nichts für ihn tun. Er verzichtete dankend.
    Die Zeit drängte und Tomasian war gezwungen, selbst einen Wagen, eine Yayli zu mieten, wie sie auf den Standplätzen in großer Zahl warteten. Zuerst lehnte der Fuhrwerksbesitzer die Zumutung ab, sich in die Unbequemlichkeit einer solchen Reise zu stürzen. Bis an die Küste hinter Antiochia. Er griff sich, über solche Narrheit entsetzt, an den Fez. Dann wurde nach vielen Beteuerungen mit »Inschallah« und »Allah bilir« der Fahrpreis dennoch ausgehandelt, worauf der Mann zwei Drittel des Geldes vorausverlangte und auch bekam, denn alle anderen Kutscher hätten sich ebenso benommen, der Pastor wußte es. Aram wählte die Straße nach Alexandrette, trotz des großen Bogens und Umwegs, den sie beschrieb. Er hoffte in anderhalb starken Reisetagen bei der Abzweigungsstelle nach Antiochia und von dort in vierundzwanzig Stunden zu Hause zu sein. Knapp vor Sonnenuntergang des ersten Tages aber stieg der Kutscher vom Bock,

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