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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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fertig werden … Immer habe ich die Kinder vor Augen … Wenn sie Woodley nur retten könnte!«
    Doktor Altouni bemühte sich schweigsam um Iskuhi. Die Männer aber redeten auf Aram ein. Nur allzuverständliche Fragen kreuzten einander:
    »Wird es bei Zeitun bleiben?« – »Ist nicht die Gemeinde von Aïntab zur Stunde auch schon unterwegs?« – »Was hört man in Aleppo?« – »Gibt es keine Nachrichten aus den anderen Vilajets?« – »Und wir?«
    Der Arzt, der den Verband heruntergewickelt hatte und Iskuhis braunrot verfärbten Arm nun mit warmem Wasser wusch, lachte schartig auf:
    »Wohin will man uns noch deportieren? Am Musa Dagh ist man schon deportiert.«
    Vom Platz her schlug der Lärm der Menge in den Raum. Ter Haigasun schnitt das Hin und Her ab. Er wandte sich mit seinen scheuen und zugleich so willensstarken Augen an Bagradian:
    »Haben Sie die Güte, Gabriel Bagradian, und sprechen Sie zu den Leuten dort draußen ein paar beruhigende Worte, damit sie endlich nach Hause gehn.«
    Warum suchte sich Ter Haigasun für seine Bitte gerade Gabriel aus, den Pariser, der zu diesen Dörflern keinen Zugang hatte? Es wäre die Sache des Muchtars Kebussjan gewesen, zu seinen Leuten zu reden. Oder verfolgte der Priester mit dieser Bitte eine verschwiegene Absicht? Gabriel Bagradian erschrak und wurde verlegen. Dennoch gehorchte er Ter Haigasun, nahm aber Stephan an der Hand mit. Das Armenische war wohl seine Muttersprache, doch im ersten Augenblick, da er jetzt zu der Ansammlung sprechen sollte – sie war mittlerweile zu einem Halbtausend gewachsen – kam es ihm wie ein Übergriff, wie eine unerlaubte Einmischung vor. Fast wäre ihm das Türkische, die Militärsprache, näher gelegen. Aber es waren nur die ersten Laute, die ihn beklommen machten, dann strömten die Silben immer klarer, die alte Sprache in ihm begann zu keimen und zu sprießen. Er bat die Einwohner von Yoghonoluk und wer sich von den andern Ortschaften sonstwie eingefunden hatte, ruhig auseinander und nach Hause zu gehn. Es seien bloß in Zeitun und nirgendwo anders Unregelmäßigkeiten vorgefallen, deren wahren Grund man erst werde untersuchen müssen. Jeder Armenier wisse, daß Zeitun seit jeher immer einen Ausnahmsfall bilde. Für die Leute vom Musa Dagh, die einem ganz andern Gebiet angehören und mit Politik nie etwas zu tun hatten, bestehe nicht die geringste Gefahr. Doch sei gerade in solchen Zeiten Ordnung und Ruhe heiliger denn je. Er, Bagradian, werde dafür sorgen, daß alle wichtigen Ereignisse von nun an in den Dörfern regelmäßig bekannt gemacht würden. Nötigenfalls sollten alle Gemeinden zu einer Volksversammlung zusammentreten, um die Zukunft zu beraten.
    Gabriel spürte zu seinem eigenen Erstaunen, daß er sicher sprach, die angemessenen Worte fand und daß von ihnen eine befriedende Kraft auf die Hörer überging. Jemand rief sogar: »Es lebe die Familie Bagradian!« Nur eine Frauenstimme jammerte: »Asdwaz im, mein Gott, was wird mit uns geschehn?«
    Wenn die Leute den Platz auch nicht verließen, so zerschlugen sie sich doch in kleinere Gruppen und belagerten die Kirche nicht mehr. Von den Saptiehs lungerte nur noch Ali Nassif umher, seine beiden Kameraden hatten sich schon davongemacht. Gabriel trat auf den Pockennarbigen zu, der sich seit einiger Zeit nicht auszukennen schien, ob er in dem Effendi einen großen Herrn zu sehen habe oder ein Chansir kiafir, ein ungläubiges Schwein, das kraft der neuen Wendung der Dinge von Amts wegen einer Antwort überhaupt nicht würdig sei. Gerade wegen dieser seiner Unsicherheit ließ Bagradian den Saptieh sehr hoheitsvoll an:
    »Du weißt, wer ich bin. Ich bin dein Höherer und Vorgesetzter, ich bin Offizier der Armee.«
    Ali Nassif entschloß sich zum Strammstehn. Grabriel griff bedeutungsvoll in die Tasche:
    »Ein Offizier gibt kein Bakschisch. Doch du erhälst von mir diese zwei Medjidjeh als Anzahlung für einen außerdienstlichen Auftrag, den ich dir hiermit erteile.«
    Die aufgereckte Haltung Ali Nassifs wurde immer vorbehaltloser. Bagradian winkte ihm knapp, er möge in gewöhnliche Stellung übergehn:
    »Ich sehe in letzter Zeit neue Gesichter unter euch Saptiehs. Hat dein Posten Zuwachs bekommen?«
    »Wir waren zu wenig, Effendi, für den schweren Dienst und die weiten Wege. Deshalb hat man den Posten verstärkt.«
    »Ist das der wirkliche Grund? Nun, darauf brauchst du mir keine Antwort zu geben. Aber wie bekommst du deine Befehle, die Löhnung und alles

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