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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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andere?«
    »Einer von den Jungen reitet jede Woche nach Antakje und der nimmt die Befehle von dort mit.«
    »Hör also deinen außerdienstlichen Auftrag, Ali Nassif! Solltest du irgend einen Befehl erhalten oder auch nur etwas von deinem Kommando erfahren, was für diesen Bezirk hier wichtig ist, du verstehst mich, so kommst du sogleich zu mir in mein Haus! Dort erhältst du dann den dreifachen Betrag der Anzahlung.«
    Hoheitsvoll, wie er ihn angesprochen, ließ Bagradian den Saptieh stehn und kehrte in die Sakristei zurück.
    Altouni hatte die Untersuchung beendet. Er höhnte:
    »Da haben sie in Marasch ein großes Hospital, Instrumente, Operationssaal, ärztliche Bibliotheken und dieser Esel von einem Kollegen hat den Arm nicht einmal eingerichtet. Was kann man dann von mir verlangen, der ich außer einer rostigen Zange zum Zähnereißen keinen Behelf besitze? Wir werden den Arm zwischen zwei Holzschienen legen müssen. Schrecklich sieht er aus. Ein angenehmes Zimmer, lange Bettruhe und Pflege wird nötig sein. Selbstverständlich auch für deine Frau, Aram!«
    Der alte Meister Tomasian war verzweifelt:
    »Und ich habe so wenig Platz, seitdem ich mein Haus verkauft habe. Wie werden wir uns nur einrichten …?«
    Gabriel Bagradian erbot sich sofort, Fräulein Tomasian ein Zimmer in seinem Haus einzuräumen, eins mit dem schönen Blick aufs Gebirge. Für Pflege werde genau nach Vorschrift Doktor Altounis gesorgt werden. Der Arzt war damit herzlich zufrieden:
    »Koh jem, ausgezeichnet, mein Freund! Und dieses Unglücksgeschöpf da, Sato, wie, die nimmst du mir auch noch zu dir, damit ich meine hochverehrten Patienten alle beisammen habe. Meine alten Beine werden dir dankbar sein.«
    So geschah es. Aram und Howsannah gingen mit Vater Tomasian und nahmen auch Kework, den Tänzer, mit, den der Alte in Haus und Werkstatt verwenden wollte. Stephan aber wurde von Gabriel vorausgeschickt, damit er Juliette von den Neuigkeiten in Kenntnis setze. Atemlos kam der Junge zu Hause an: »Mama, Mama! Es ist etwas geschehen. Wir bekommen Hausgäste. Fräulein Iskuhi, die Schwester des Pastors aus Zeitun. Und noch ein kleines Mädchen mit blutigen Füßen.«
    Juliette war von dieser überraschenden Mitteilung merkwürdig berührt. Gabriel hatte niemals Leute ins Haus gebracht, ohne sie zu fragen. In seinem Verhältnis zu ihr lag eine gewisse Unsicherheit, was Menschen anbetraf, zumal Menschen seiner eigenen Rasse. Als er aber bereits nach zehn Minuten mit Iskuhi, dem Ehepaar Altouni und Sato erschien, war Juliette die Güte selbst. So wie viele hübsche Frauen konnte sie durch weibliche Anmut und insbesondere an einem jüngeren Wesen leicht bestochen werden. Der Anblick der armen Iskuhi rührte sie und weckte in ihr die Hilfsbereitschaft einer älteren Schwester. Während sie die nötigen Aufträge erteilte, sprach ihr Wohlgefallen: Wirklich apart! So feine Gesichter gibt es selten unter ihnen. In ihren zerfetzten Kleidern noch schaut sie vornehm aus. Und für eine Armenierin scheint sie ein recht gutes Französisch zu sprechen. Das Zimmer war schnell instand gesetzt. Juliette brachte eigenhändig dies und jenes für Iskuhi, sogar ein schönes spitzengesäumtes Nachtgewand aus ihrem Besitz. Nicht einmal mit der Preisgabe etlicher Toilettewässer und Parfums zögerte sie, obwohl diese Schätze unersetzbar waren.
    Altouni besah noch einmal, mit bitteren Ausfällen gegen die Mediziner der großen Stadt Marasch, Iskuhis Arm. Hast du Schmerzen, Liebchen? Nein, Schmerzen habe sie gar keine mehr, nur so ein Gefühl, ein dumpfes Gefühl – sie suchte nach einem Wort – ein Gefühl der Gefühllosigkeit. Der alte Arzt war der Überzeugung, daß auch seine Wissenschaft dem Arm des Mädchens nicht viel helfen werde. Dennoch legte er, weil ers nicht anders verstand, einen großen Verband an, der die Schulter bis zum Hals verhüllte. Es zeigte sich dabei, wie fest und sicher noch seine braunverrunzelten Greisenfinger arbeiteten.
    Nicht lange darauf lag Iskuhi im weichen Bett, sauber gepflegt und friedlich. Juliette, die ihr bei allem geholfen hatte, wollte sich verabschieden:
    »Wenn Sie etwas brauchen, mein Kind, so schütteln Sie nur energisch die große Glocke. Das Essen wird zum Bett gebracht werden. Doch ich sehe noch vorher nach Ihnen.«
    Iskuhi wandte der Gönnerin die Augen ihres Volkes zu, in denen noch immer die schreckhafte Ferne lag und nicht die wohlige Heimkehr:
    »O danke, Madame … Ich werde nichts brauchen … Danke,

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