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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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bringt eine Kupferkanne mit Kaffee. Lepsius genießt gierig drei, vier Schalen hintereinander. Durch diesen Kaffee wird ihm ein Vorsprung gegeben, seine Nerven spannen sich, die Adern treiben frischer das Blut zum Kopf. Als Enver Pascha eintritt, hat Lepsius gerade die letzte Tasse geleert.
     
    Johannes Lepsius hat sich schon in Berlin Enver Pascha genau beschreiben lassen, dennoch ist er sehr überrascht, daß der türkische Mars, einer von den sieben oder neun Herren über Tod und Leben der Welt, so kleingewachsen und unansehnlich ist. Er begreift sofort Napoleons und Friedrichs Bilder. Heroen von 1.60 Körpermaß, geniale Gernegrößen, die ihren Erfolg gegen körperliche Zukurzgekommenheit durchgesetzt haben. Lepsius möchte wetten, daß Enver Pascha hohe Absätze trägt. Die Persianerkappe, die er nicht ablegt, geht jedenfalls über die Höhe der Adjustierungsvorschrift hinaus. Die goldverschnürte Marschalls-(oder Phantasie-)Uniform ist wundervoll in der Taille geschnitten, hebt durch ihren straffen knappen Sitz die Gestalt und verleiht ihr im Bunde mit zwei blitzenden Reihen von Orden etwas Leichtsinnig-Jugendliches und Zierlich-Wagemutiges. ›Zigeunerbaron‹, denkt Lepsius und kann sich, während sein Herz immer schneller klopft, eines energischen Walzers aus fernen Jugendtagen nicht erwehren:
    Dies und noch mehr
Kann ich auf Ehr …
    Die Textworte aber, die ihn im Hinblick auf die strahlende Uniform anwandeln, stehen ganz und gar im Widerspruch zu Wesen und Anblick des jungen Generalissimus. Enver Pascha hat einen verlegenen, ja manchmal schüchternen Gesichtsausdruck und einen Augenaufschlag wie ein Mädchen. Mit seinen schmalen Hüften und abfallenden Schultern bewegt er sich fein und anmutig. Lepsius kommt sich plump vor. Der erste Angriff, den der Feind gegen ihn führt, besteht in einer jähen Sympathie mit seiner tänzerischen Erscheinung, die er in dem Besucher zu erwecken weiß. Nach den Begrüßungsworten führt er ihn nicht in das anstoßende Kabinett, sondern bittet ihn, Platz zu behalten, und rückt sich sofort einen Stuhl von dem Sitzungstisch zum Fenster, ohne auf die Lichtverteilung zu achten, die für ihn ungünstig ist.
    Johannes Lepsius eröffnet das Gespräch (so hat er sichs in seinem Kampfprogramm zurechtgelegt) mit dem Gruß einer deutschen Verehrerin, den er dem General überbringt. Dieser lächelt mit dem ihm eigenen verlegenen Reiz und bekennt mit einem angenehmen Tenor, der die Harmonie seiner Erscheinung auch stimmlich zu voller Geltung bringt, in gutem Deutsch:
    »Ich achte die Deutschen sehr hoch. Sie sind ohne Zweifel das erstaunlichste Volk der Welt. In diesem Kriege leisten sie Unübertreffliches. Ich persönlich freue mich immer, wenn ich einen deutschen Herrn hier bei mir begrüßen darf.«
    Pastor Lepsius weiß sehr wohl, daß Enver Pascha im Komitee die französische Partei vertrat und vielleicht heimlich noch immer vertritt, und daß er sich lange dagegen gesträubt hat, an der Seite Deutschlands und nicht der Alliierten in den Krieg zu treten. Da diese Frage aber im Augenblick ganz gleichgültig ist, fährt Lepsius in dem tastenden Austausch von Höflichkeit fort:
    »Exzellenz besitzen in Deutschland eine große Anzahl von ergebenen Bewunderern. Man erwartet von Ihnen weltbewegende Taten.«
    Augenaufschlag Envers. Eine kleine Gebärde der Hand, welche sich gegen die Anforderungen, die in solcher Schmeichelei stecken, müde zu wehren scheint. Schweigen, das ungefähr bedeutet: Nun sieh zu, mein Lieber, wie du mich in deine Gasse kriegst. Lepsius wendet den Kopf lauschend zum Fenster, durch das kein anderer Laut dringt als das leise Pfeifen und Klingeln des Bosporus-Verkehrs:
    »Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die Stimmung hier in Stambul sehr begeistert ist. Besonders heute herrscht ein imposantes Treiben.«
    Der General entschließt sich mit seiner angenehmen, aber jetzt gleichgültigen Stimme zu einem Kernsatz im Stil patriotischer Verlautbarungen:
    »Der Krieg ist schwer. Aber unser Volk weiß, was es sich schuldig ist.«
    Erster Ausfall des Deutschen:
    »Ist es im Innern ebenso, Exzellenz?«
    Enver schaut erfreut in die fernste Ferne:
    »Gewiß. Im Innern gehn große Dinge vor sich.«
    »Exzellenz, die großen Dinge sind mir wohlbekannt.«
    Der Kriegsminister mißversteht mit einem leichten Erstaunen. Für den ersten Mann eines Riesenreichs hat er eine ausnehmend jungenhafte Gesichtsfarbe:
    »Die Lage an der Kaukasusfront bessert sich von Tag zu Tag. Über

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