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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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abgeschoben haben, sind die auch des Hochverrats überwiesen?«
    »Sie werden einsehen, daß wir auch nur mögliche Hochverräter in nächster Nähe der Dardanellenfront nicht dulden können.«
    Johannes Lepsius widerspricht nicht, sondern wirft sich mit einem jähen Temperamentausbruch auf die Hauptsache:
    »Aber Zeitun! Ich möchte dringend Ihre Ansicht über Zeitun hören, Exzellenz!«
    Enver Paschas blitzblanke Freundlichkeit verfinstert sich feierlich:
    »Der Aufruhr von Zeitun war eine der größten und infamsten Revolten in der Geschichte des türkischen Reichs. Der Kampf mit den Insurgenten hat unsere Truppen leider schwere Verluste gekostet, wenn ich sie Ihnen auch auswendig nicht nennen kann.«
    »Ich habe über Zeitun andere Berichte als Exzellenz« – Lepsius führt diesen Schlag mit stockenden Silben – »meine Berichte sprechen von keinem Aufruhr in der dortigen Bevölkerung, sondern von monatelanger Herausforderung und Bedrückung durch die Bezirks- und Sandschakbehörden. In ihnen ist von einem Nichts die Rede, das ein stärkeres Polizeiaufgebot hätte bereinigen können, während in der militärischen Assistenz von einigen tausend Mann für jeden gerechten Menschen die vorgefaßte Absicht deutlich wird.«
    »Sie wurden mit falschen Informationen bedient«, meint der General unberührt artig. »Darf ich die Herkunft Ihrer Berichte erfahren, Herr Lepsius?«
    »Ich werde einige nennen, schicke aber voraus, daß armenische Quellen nicht darunter sind. Hingegen kenne ich die genauen Memoranden verschiedener deutscher Konsuln, ich besitze Aufzeichnungen von Missionaren, die Augenzeugen der grauenhaftesten Vorgänge waren. Und schließlich empfing ich ein lückenloses Bild von der Lage durch den amerikanischen Botschafter, Mr.Morgenthau.«
    »Mr.Morgenthau«, bemerkte Enver übermütig, »ist Jude. Und die Juden stehen immer fanatisch auf Seiten der Minderheit.«
    Diese graziöse Unzugänglichkeit macht Lepsius erstarren. Er hat eiskalte Hände und Füße:
    »Es kommt nicht auf Morgenthau an, Exzellenz, sondern auf die Tatsachen. Und die Tatsachen werden und können Sie nicht leugnen. Hunderttausend Menschen sind bereits auf dem Wege der Verschickung. Die Behörden sprechen nur von Umsiedlung. Ich behaupte, daß dies, gelinde gesagt, ein Wortmißbrauch ist. Kann man ein Volk von Bergbauern, von Handwerkern, Städtern, Kulturmenschen mit einem Federstrich in der mesopotamischen Wüste und Steppe ansiedeln, in einer ozeanweiten Einöde, die sogar von den Beduinenstämmen geflohn wird? Und selbst dieses Ziel ist doch nur eine Finte. Denn die Ortsbehörden richten die Deportation so ein, daß die Elenden schon während der ersten acht Tagemärsche durch Hunger, Durst, Krankheit umkommen oder wahnsinnig werden, daß man die widerstandsunfähigen Knaben und Männer durch Kurden oder Banditen, wenn nicht gar durch Militär, umbringen läßt, daß die jüngeren Mädchen und Frauen der Schändung und Verschleppung geradezu aufgedrängt werden …«
    Der General hört mit höflichster Aufmerksamkeit zu, dabei aber gibt seine abgespannte Miene zu erkennen: dieses schale Lied höre ich zwölfmal täglich. Die Manschette, die er mit seiner weißen Frauenhand aus dem Ärmel vorholt, scheint ihm wichtiger zu sein.
    »Sehr bedauerliche Dinge! Aber der Oberkommandierende einer großen Wehrmacht ist für die militärische Sicherheit seines Kriegsgebietes verantwortlich.«
    »Kriegsgebiet«, schreit Lepsius auf, beherrscht sich aber sofort und versucht, den ruhigen Ton Envers aufzunehmen: »Kriegsgebiet, das ist die einzige neue Nüance. Alles andere, Zeitun, Hochverrat, Umtriebe, war schon dagewesen. Diese Mittel hat Abdul Hamid meisterhaft gehandhabt, wenn die Armenier wieder daran glauben sollten. Ich bin ein älterer Mann als Sie, Exzellenz, und habe es an Ort und Stelle miterlebt. Denke ich aber an die Deportationen, so muß ich dem alten Sünder Abbitte leisten. Er war ein Stümper, ein harmloses Kind gegen die neuen Methoden. Und ihre Partei, Exzellenz, hat die Macht doch nur erobert, weil es die blutige Zeit des alten Sultans durch Gerechtigkeit, Einigkeit, Fortschritt ablösen wollte. Dahin lautet doch auch der Name Ihres Komitees.«
    Dieser Hieb ist kühn, ja unbesonnen. Johannes Lepsius erwartet eine Sekunde lang, der Kriegsminister werde aufstehn und die Unterredung beenden. Enver bleibt aber ruhig sitzen und auf seine Liebenswürdigkeit fällt nicht der geringste Schatten. Er beugt sich sogar vertraulich

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