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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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die Südarmee Dschemals und Ihres Landsmannes Kreß zu reden, ist freilich noch verfrüht.«
    »Sehr erfreulich, Exzellenz! Aber ich habe unter dem Innern nicht das Kriegsgebiet verstanden, sondern die friedlichen Vilajets.«
    »Während sich ein Staat im Kriege befindet, sind alle seine Gouvernements Kriegsgebiet, mehr oder weniger.«
    Dieser Satz bekommt einen leichten Nachdruck mit auf den Weg. Das Vorpostengeplänkel ist damit zu Ungunsten des Pastors entschieden, der zu einem Frontangriff übergehen muß:
    »Exzellenz wissen vielleicht, daß ich nicht auf eigene Faust hierhergekommen bin, sondern als Vorsitzender der deutschen Orientgesellschaft, der ich über gewisse Vorgänge Bericht zu erstatten habe.«
    Verwunderter Augenaufschlag Envers. Was ist das für ein Ding, Orientgesellschaft?
    »Das Auswärtige Amt, ja der Herr Reichskanzler selbst nimmt an meiner Mission lebhaften Anteil. Nach meiner Rückkehr werde ich zur Information der Abgeordneten und der deutschen Presse einen Vortrag im Reichstag über die armenische Frage halten.«
    Enver Pascha, der, mit routinierter Geduld zu Boden schauend, dem Besucher zuhört, hebt bei den Worten »armenische Frage« den Kopf. Der Unmut eines verzogenen Kindes, das die ernsten Leute immer mit dem gleichen Unsinn belästigen, umwölkt einen Augenblick seine Miene. Doch sofort ist wieder alles in Ordnung. Dem Lepsius aber geht das Herz jetzt schon durch:
    »Ich komme in meiner Not zu Ihnen, Exzellenz, weil ich überzeugt bin, daß ein Feldherr Ihres Ranges, ein Held, nichts tut, was seinen Namen in der Geschichte verdunkeln könnte.«
    »Ich weiß, Herr Lepsius,« ergreift Enver Pascha mit wohlwollendster Nachsicht das Wort, »daß Sie hierhergekommen sind und diese Unterredung gewünscht haben, um über die bewußte Sache Aufklärung zu verlangen. Obwohl mich tausend wichtige Angelegenheiten in Anspruch nehmen, bin ich bereit, Ihnen hier jede Zeit zu widmen und jede gewünschte Auskunft zu erteilen.«
    Lepsius muß diese Opfer mit einer Bewegung tiefer Dankbarkeit entgegennehmen.
    »Seitdem meine Freunde und ich die Regierung leiten«, beginnt der General, »waren wir immer bestrebt, der armenischen Millet jegliche Förderung und unbedingte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es liegen alte Verabredungen vor. Ihre armenischen Freunde haben unsere Revolution aufs lebhafteste begrüßt und alle erdenklichen Schwüre geleistet, uns die Treue zu bewahren. Diese Schwüre haben sie dann über Nacht gebrochen. Wir drückten beide Augen zu, solange wie möglich, solange die osmanische Nation, das Staatsvolk, nicht gefährdet war. Wir leben doch in der Türkei, nicht wahr? Als sich aber nach Kriegsausbruch die Fälle von Hochverrat, Felonie, subversiver Gesinnung mehrten, als die Desertion schauderhaft überhand nahm, als es zu offenem Aufruhr kam, ich erinnere nur an die große Revolte von Zeitun, da waren wir zu Gegenmaßregeln gezwungen, wenn wir nicht das Recht verlieren wollten, eine Volksregierung zu sein und Krieg zu führen.«
    Lepsius nickt, als sei er auf dem besten Wege, überzeugt zu werden:
    »Worin, Exzellenz, bestanden die gerichtlich erwiesenen Fälle von Hochverrat und Felonie?«
    Große Handbewegung Envers, als lasse sich die Fülle der Verbrechen gar nicht ausschöpfen:
    »Konspiration mit Rußland. Das Lob, das Sassonow den Armeniern in der Petersburger Duma erteilt hat, sagt genug. Ferner Verschwörungen mit Frankreich und England. Umtriebe, Spionage, alles was sich nur denken läßt.«
    »Und hat man über diese Fälle regelrechte Gerichtsprozesse geführt?«
    »Kriegsgericht natürlich. Bei Ihnen wäre das ja nicht anders. Vor kurzem wurden fünfzehn der ärgsten Fälle abgeurteilt und öffentlich hingerichtet.«
    Naive Frechheit, stellt Lepsius innerlich fest. Er lehnt sich zurück und sucht das Beben seiner Stimme zu beherrschen:
    »Meines Wissens sind diese fünfzehn armenischen Männer schon längst vor dem Krieg verhaftet worden, folglich können sie sich doch schwerlich des Hochverrats nach geltendem Kriegsrecht schuldig gemacht haben.«
    »Wir kommen selbst von der Revolution her«, antwortet der General nicht zur Sache, aber dafür mit der Heiterkeit eines Knaben, der sich köstlicher Streiche erinnert. »Wir wissen sehr gut, wie das gemacht wird.«
    Lepsius verschluckt ein Kraftwort über die Revolution und räuspert sich zu einer neuen Frage hinüber:
    »Und die armenischen Notabeln und Intellektuellen, die Sie hier in Stambul inhaftiert und

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