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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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jugendliche Mars zeigt noch einmal seine lächelnden Zähne:
    »Seien Sie überzeugt, Herr Lepsius, daß unsre Regierung jede überflüssige Härte vermeiden wird.«
    Das ist beiderseits eine leere Förmlichkeit, ein sinnloses Gaukelspiel, damit dieses politische Gespräch, wie alle Unterredungen gleicher Art, im Unbestimmten verebbe. Enver Pascha hat nicht das geringste Zugeständnis gemacht. Welche Härten überflüssig sind, das bleibt seine Sache. Doch auch Lepsius hat seine Worte, im vollen Bewußtsein ihres hohlen Schalles, nur gesprochen, um einen Abschluß zu finden. Der General, der im Gegensatz zum Pastor jetzt besonders zierlich und gestrafft erscheint, läßt dem Gast den Vortritt. Er begleitet ihn sogar ein paar Schritte und schaut dann mit seiner leicht-erstaunten Undurchdringlichkeit dem Schwankenden nach, der sich durch den weiten Gang mit den wehenden Türvorhängen wie ein Blinder weitertastet.
     
    Enver Pascha tritt in das Büro Talaat Beys. Die Beamten fahren von ihren Sitzen empor. Begeisterung strahlt von ihren Gesichtern. Noch immer hat sich die beinahe mystische Liebe nicht erschöpft, die selbst dieses papierene Schreibtischvolk dem zarten Kriegsgott entgegenbringt. Hundert glorreiche Sagen von seiner Tollkühnheit sind hier wie überall im Schwang. Als während des Krieges in Albanien ein Artillerieregiment meuterte, hat er sich, die Zigarette im Munde, vor die Mündung einer Haubitze gestellt und den Rebellen zugerufen, sie möchten nur ruhig die Zündschnur abziehen. Auf Envers seidenweichen Zügen sieht das Volk den messianischen Glanz. Er ist der gottgesandte Mann, der das Reich Osmans, Bajezids und Soleimans neuerrichten wird. Der General grüßt die Beamten mit einem heiteren Zuruf, der einen übertriebenen Aufruhr von Entzücken hervorruft. Überschwengliche Hände reißen die Türen auf, die durch die Kanzleienflucht in Talaats Arbeitszimmer führen. Für die erdrückende Persönlichkeit des Ministers ist dieses Kabinett zu klein. Wenn sich der Hüne, wie eben jetzt, vom Schreibtisch erhebt, verdunkelt er das Fenster. Der gewaltige Kopf Talaats ist an den Schläfen ergraut. Über den aufgeworfenen Lippen des Orientalen schwebt ein kleiner pechschwarzer Schnurrbart. Das üppige Doppelkinn drängt sich durch einen ausgeschnittenen Stehkragen. Eine weiße Pikeeweste bedeckt wie ein Sinnbild treuherziger Offenheit die ausladende Bogenfläche des Leibes. Immer, wenn Talaat Bey den Mitregenten im Duumvirat, Enver, erblickt, hat er das Bedürfnis, seine mächtige Bärentatze auf die schmale Schulter dieses begnadeten Jünglings väterlich zu legen. Jedesmal aber verhindert die Aura von eisiger Schüchternheit um Envers Gestalt diese vertraute Annäherung. Dabei ist Talaat der übersprudelnde Weltmensch und Wortführer, der fünf Diplomaten auf einmal mit seiner rauschenden Überlegenheit an die Wand spielt, während Enver, der Abgott des Volkes, der Gemahl einer kaiserlichen Prinzessin, bei irgendeinem großen Empfang oft halbe Stunden lang traumverloren und verlegen abseits stehen kann. Talaat läßt seine fleischige Riesenhand sinken und begnügt sich mit einer Frage:
    »Also der Deutsche war bei dir?«
    Enver Pascha wendet den Blick zum Bosporus hinaus, mit seinen spielenden Wassern, seinen eilenden Dampferchen und winzigen Kajiks, mit den im Lichte dieser Stunde unwirklich schlechtgemalten Zypressen- und Ruinenkulissen. Dann zieht er den Blick wieder ein und läßt ihn durch das leere Arbeitszimmer schweifen, bis er an einem alten Telegraphen-Apparat hängen bleibt, der auf einem teppich-bedeckten Schautischchen steht wie eine große Kostbarkeit. Auf diesem kläglichen Ding hat der untergeordnete Post- und Telegraphenbeamte Talaat seine Morsezeichen gefingert, ehe ihn Ittihads Revolution zum ersten Staatsman des Kalifenreiches erhob. Möge jeder Besucher dieses Wahrzeichen eines schwindelnd steilen Aufstiegs nach Gebühr bewundern. Auch Enver scheint den bedeutsamen Morseapparat mit Wohlwollen zu betrachten, ehe er sich der Frage erinnert:
    »Ja, der Deutsche. Er hat ein bißchen mit dem Reichstag zu drohen versucht …«
    Diese Äußerung beweist, wie recht Monsignore Sawen hatte, und daß alle menschlichen Beschwörungen des Pastors von allem Anfang an eine falsche Kampfweise gebildet haben. Ein Sekretär bringt einen Pack Depeschen, die Talaat im Stehen zu unterschreiben beginnt. Beim Sprechen blickt er nicht auf:
    »Diese Deutschen fürchten ja nur das Odium der

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