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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Toten ist? Diese Durchführungen sind mir bekannt.«
    »Ich schätze Ihre Kenntnis des Innern«, kommt ihm Enver ein wenig entgegen, »und werde Ihre schriftlichen Vorschläge, was eine Verbesserung dieser Dinge anbelangt, gerne entgegennehmen und genau prüfen.«
    Lepsius aber breitet die Arme aus:
    »Schicken Sie mich hinunter! Das ist mein erster Vorschlag. Nicht einmal der alte Sultan hat mir diese Bitte damals abgeschlagen. Geben sie mir die Vollmacht, die Verschickungstransporte zu organisieren. Gott wird mir die Kraft schenken und Erfahrung besitze ich wie kein zweiter. Ich brauche keinen Piaster vom ottomanischen Staat. Alle notwendigen Geldmittel werde ich aufbringen. Deutsche und amerikanische Hilfsvereine stehen hinter mir. Schon einmal ist mir ein großes Hilfswerk gelungen, ich habe viele Waisenhäuser und Hospitäler gegründet und mehr als fünfzig Wirtschaftsbetriebe einrichten helfen. Ich werde trotz des Kriegs dasselbe und Größeres noch zustandebringen, und nach zwei Jahren werden Sie selbst, Exzellenz, mir dankbar sein.«
    Enver Pascha hat diesmal nicht nur mit der gewohnten Aufmerksamkeit, sondern mit Spannung zugehört. Doch jetzt bekommt Lepsius etwas zu sehn und zu hören, was er bisher noch nicht erlebt hat. Es ist keine spöttische Grausamkeit, kein Zynismus, was den so knabenhaften Gesichtsausdruck des Generals verändert. Nein, Lepsius sieht jetzt das arktische Antlitz des Menschen, der »alle Sentimentalität überwunden« hat, das Antlitz des Menschen, der außerhalb der Schuld und ihrer Qualen steht, er sieht das hübsche Präzisionsgesicht einer ihm unbekannten, aber atemberaubenden Gattung, er sieht die unheimliche, ja fast unschuldige Naivität der vollkommenen Gottlosigkeit. Und welche Kraft besitzt sie, daß man sie nicht hassen kann!
    »Ihre schätzenswerten Absichten interessieren mich«, sagt Enver anerkennend, »aber ich muß sie selbstverständlich zurückweisen. Gerade diese Ihre Wünsche zeigen mir, daß wir uns bisher mißverstanden haben. Wenn ich einem Fremden gestatte, den Armeniern Hilfe zu bringen, schaffe ich damit einen Präzedenzfall, der die Einmischung fremder Persönlichkeiten und damit ausländischer Mächte anerkennt. Ich mache also meine ganze Politik zunichte, die ja die armenische Millet darüber belehren sollte, welche Folgen die Sehnsucht nach fremder Einmischung hat. Die Armenier selbst würden sich nicht mehr zurechtfinden. Zuerst bestrafe ich ihre hochverräterischen Träume und Hoffnungen, dann aber sende ich einen ihrer einflußreichsten Freunde zu ihnen, um diese Hoffnungen und Träume wieder zu erwecken. Nein, mein Herr Lepsius, das ist unmöglich, ich kann nicht gestatten, daß Ausländer diesen Leuten Wohltaten erweisen. Die Armenier müssen in uns allein ihre Wohltäter sehen.«
    Der Pastor sinkt auf den Sessel. Verloren! Gescheitert! Jedes weitere Wort überflüssig. Wäre dieser Mensch dort nur böse, wünscht er sich, wäre er der Satan. Aber er ist nicht böse und nicht der Satan, er ist kindhaft-sympathisch, dieser große unerbittliche Massenmörder. Lepsius vergrübelt sich, so daß er das muntere, im vertraulichen Ton vorgebrachte Anerbieten Envers in seiner ganzen Unverfrorenheit nicht sogleich auffaßt:
    »Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag, Herr Lepsius. Sammeln Sie Geld, sammeln Sie bei Ihren Hilfsvereinen in Amerika und Deutschland viel Geld. Die aufgebrachten Mittel bringen Sie dann mir. Ich werde sie ganz in Ihrem Sinn und nach Ihrer Bestimmung verwenden. Doch mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ich keine Kontrolle durch Deutsche und andere Ausländer dulden kann.«
    Wäre Johannes Lepsius nicht zu erstarrt, er würde in ein Gelächter ausbrechen. So erheiternd ist die Vorstellung jener Wege, welche sein Sammelgeld nach Enver Paschas Sinn in der Türkei gehen würde. Er schweigt. Er ist geschlagen. Obgleich er doch vor der Unterredung schon hoffnungslos war, glaubt er erst jetzt, daß die Welt zusammengestürzt sei. Um nicht ganz vergehn zu müssen, gibt sich der Pastor einen Ruck, bringt sein Äußeres ein wenig in Ordnung, fährt mit dem Taschentusch mehrmals fest über die glänzende Stirn und erhebt sich:
    »Ich kann nicht annehmen, Exzellenz, daß diese Stunde, die Sie mir geschenkt haben, ganz ergebnislos verlaufen soll. In Nordsyrien und an der Küste leben hunderttausend Christen jenseits aller Kriegsereignisse. Exzellenz sind gewiß der Ansicht, daß Maßregeln, die keinem Zweck entsprechen, besser unterbleiben.«
    Der

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