Die Violine des Teufels
erklärte Orozco ihm, dass es sich um ein kaum bekanntes, schwer zu beschaffendes Eau de Cologne handelte, weshalb es sich vielleicht als entscheidendes Indiz zur Identifizierung des Verdächtigen erweisen konnte.
»Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten, Inspector Perdomo«, sagte Orozco nun. »Jetzt sagen Sie mir, wen wir suchen.«
Perdomo setzte ihn ins Bild und teilte ihm mit, dass mehrere Personen Motive hatten, Ane Larrazábal zu töten, bislang aber niemand der Tat bezichtigt worden war. Den wichtigsten Punkt ließ er jedoch aus: wie Mila den Duft wahrgenommen hatte. Aber der Parfümeur war nicht bereit, sich mit einer Halbwahrheit abspeisen zu lassen, und bestürmte den Polizisten so lange mit Fragen, bis er ihm die ganze Wahrheit entlockt hatte. Als Orozco erfuhr, dass Ordóñez den Geruch des mutmaßlichen Täters auf außersinnlichem Wege wahrgenommen hatte, machte er sich weder darüber lustig noch legte er auch nur verhüllte Skepsis an den Tag, sondern zeigte sich im Gegenteil außerordentlich interessiert an ihrem Bericht und trug dann eine eigene Erfahrung bei.
»Nach außen hin leugnet alle Welt die Existenz solcher Wahrnehmungen. Wenn man offen darüber spricht, wird man normalerweise für geisteskrank gehalten, man wird zum Gespött der Leute. Aber wissen Sie was? Wir, die wir außersinnliche Wahrnehmungen hatten, haben es nicht nötig, dass jemand uns etwas beweist. Als mein kleiner Bruder bei einem Autounfall ums Leben kam – das war vor genau sechs Jahren –, da war er in Mexiko im Urlaub, und ich war in meinem Haus in Nizza. Tja, und zur selben Zeit, als sich der Unfall ereignete – um fünf Uhr nachmittags nach dortiger Zeitrechnung, hier bei uns war es Mitternacht –, zur selben Zeit wurde ich panisch schreiend wach und musste in die Notfallambulanz, weil ich unter Schock stand. Wie soll man dieses Phänomen sonst erklären, wenn nicht damit, dass ich irgendwie den Tod meines einzigen Bruders im selben Augenblick wahrnahm, in dem er geschah?«
Mila und Perdomo waren froh, in Orozco einen so kompetenten und vertrauenswürdigen Menschen gefunden zu haben, und bedauerten, dass sie nicht wenigstens noch einen Tag länger in Nizza bleiben konnten, um die Identifizierung des Dufts mit ihm zu feiern. Der Parfümeur bestand darauf, sie zum Hotel zu begleiten, und versprach ihnen, er werde sie am Nachmittag abholen und zum Flughafen fahren.
»Ich bringe Ihnen eine Überraschung mit, als Abschiedsgeschenk«, kündigte er ihnen augenzwinkernd an.
Nach dem Mittagessen löste Orozco sein Versprechen ein und kam in seinem Rover, um sie zum Flughafen von Nizza zu fahren. Die Überraschung bestand, wie nicht anders zu erwarten, in einem 150-Milliliter-Flakon Eau de Cologne Hartmann, das der Parfümeur in einer renommierten Parfümerie in Grasse erworben hatte. Perdomo war beeindruckt von dem dunkelroten Flakon – er erinnerte ihn an das Blut, das der Mörder als Tinte verwendet hatte. Pro forma bot er an, das Parfüm zu bezahlen, doch davon wollte Orozco nichts hören.
Da ihnen noch Zeit blieb, bestand der Parfümeur, der nicht vergessen konnte, dass er in seiner Jugend Museumsführer gewesen war, darauf, ihnen einige berühmte Gebäude der Stadt zu zeigen – »Sie müssen nicht einmal aussteigen«. Nachdem ihr Gastgeber ihnen das Hotel Negresco und das Matisse-Museum gezeigt hatte, deutete er auf das Haus, in dem der große Geiger Niccolò Paganini gestorben war – »anscheinend vom Teufel besessen und ohne die letzte Beichte empfangen zu haben«.
»Halten Sie an! Halten Sie hier an!«, schrie Mila plötzlich vom Rücksitz.
Perdomo wandte sich zu ihr um: Sie war leichenblass. Hastig stürzte sie aus dem Auto und stieß nur hervor: »Das Haus! Das ist das Haus, in dem ich als junges Mädchen fast gestorben wäre!«
44
A m Abend des 27. Mai 1840, einem Mittwoch, wurde Niccolò Paganinis Sohn, Achille Ciro, im bischöflichen Palast von Nizza vorstellig und bat Monsignore Galvano, in sein Haus zu kommen, um seinem Vater die Beichte abzunehmen und ihm die Letzte Ölung zu spenden. Dem Arzt zufolge, der Paganini behandelte, war in den nächsten Stunden mit seinem Tod zu rechnen. Galvano war der Musiker zuwider, sowohl moralisch als auch rein körperlich, doch es gelang ihm, sich diese Abneigung während der kurzen Unterredung mit Achille nicht anmerken zu lassen, und mit einem seligen Lächeln versprach er dem Sohn, so rasch wie möglich zu kommen.
»Hat dein Vater selbst um die
Weitere Kostenlose Bücher