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Die Violine des Teufels

Die Violine des Teufels

Titel: Die Violine des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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Auswärtige die Nizzaer gerne belegten, da das berühmteste Gericht der Nizzaer Küche ein Kuchen mit Mangold war, führte Caffarelli einen Finger an die Lippen, um dem Messdiener zu bedeuten, er solle schweigen.
    Dann nahmen sie den beschwerlichen Aufstieg ins Obergeschoss in Angriff, wo der sterbende Paganini lag – beschwerlich wegen der aufreizenden Langsamkeit, mit der die Haushälterin die Stufen erklomm. Die Luft im Haus war schlecht, und Caffarelli verspürte Übelkeit. Es war nicht einmal der Geruch nach Tod – den kannte der Domherr zur Genüge –, sondern etwas, was noch schrecklicher war für jene, die befürchteten, sich anzustecken: der Gestank der Krankheit. Caffarelli hielt sich ein Taschentuch vors Gesicht, um die verdorbene Luft zu filtern, und sein Unbehagen wäre wohl noch größer gewesen, hätte er gewisse Einzelheiten aus Paganinis Leben gekannt, die er erst später erfahren sollte.
    Nach beinahe einminütigem schwerfälligem Aufstieg erreichten Caffarelli und der Messdiener schließlich einen langen Korridor, an dessen Ende das Zimmer des unheilbar Kranken zu erkennen war.
    Die Tür stand halb offen. Ehe sie sie erreicht hatten, erschien Achille – eine nervöse Gestalt, die wirkte, als stünde sie unter Strom. Zweifelsohne hatte er sie kommen hören, denn der Holzboden knarrte wie der Rumpf einer alten Galeone.
    »Pax huic domui. Et omnibus habitantibus in ea«, grüßte ihn der Geistliche.
    Doch als Paganinis Sohn sah, dass nicht der Bischof gekommen war, grüßte er nicht einmal zurück, sondern reagierte sehr verärgert.
    »Seine Exzellenz ist beinahe blind«, entschuldigte sich der Domherr, »und da der Kranke, ehe er die Letzte Ölung empfangen kann, zunächst schriftlich die Beichte ablegen muss –«
    Es folgte ein angespannter Wortwechsel, gleich an der Schwelle zum Zimmer des Sterbenden. Achille verlangte von Caffarelli, er solle den Messdiener sogleich zurück zum bischöflichen Palast schicken, um Galvano zu sagen, sein Vater werde die Beichte nur bei ihm ablegen.
    »Wenn der Bischof nicht mehr lesen kann, wird es meinem Vater schon gelingen, die Beichte mündlich abzulegen. Aber ein Cavalier vom Sporn kann doch die Letzte Ölung nicht von einem einfachen Domherrn erhalten!«
    Einfacher Domherr?, dachte Caffarelli. Ja, weiß dieser Wirrkopf denn nicht, dass ich Doktor des kanonischen Rechts bin und in jeder Hinsicht als die rechte Hand des Bischofs sowie als sein Rechtsberater gelte? Doch er sagte nichts, um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.
    In barschem Ton, wenn auch ein wenig gemäßigter, erklärte Achille ihnen, die Erkrankung seines Vaters – Kehlkopfkrebs – habe ihn in einer anderen entscheidenden Situation auch nicht daran gehindert, sich mit Hector Berlioz zu verständigen, nämlich durch seine, Achilles, Hilfe. Das war in Paris gewesen, nachdem Paganini eine Aufführung von Harold in Italien besucht hatte, die der Komponist selbst dirigiert hatte.
    Caffarelli hörte sich die Schilderung jener historischen Begegnung zwischen den beiden Genies aufmerksam an und erklärte dem Sohn dann so diplomatisch wie möglich, um ihn nicht noch weiter gegen sich aufzubringen, dass eine Beichte so nicht durchgeführt werden könne, denn es handele sich dabei um eine intime Unterredung zwischen dem Gläubigen und dem Priester.
    Widerwillig gab Paganinis Sohn nach und gestattete dem Geistlichen und seinem Gehilfen, das Zimmer zu betreten, in dem der legendäre Geiger lag.

    Paganinis Zimmer war riesig. Caffarelli schätzte, dass es mindestens das halbe Obergeschoss einnahm. Die Wände waren mit Plakaten der wichtigsten Konzerte bedeckt, die der Geiger bis zu seinem durch die Krankheit erzwungenen Rückzug gegeben hatte: Wien, London, Paris, Mannheim, Leipzig, Berlin, Moskau. Es gab praktisch keinen Winkel im alten Europa, in dem der Musiker die Gläubigen nicht mit seinen teuflischen Kompositionen und seinen dramatischen Auftritten geblendet hätte – beispielsweise hatte er drei der vier Saiten an seiner Geige durchtrennt, um dem Publikum, das ihm bereits mit Leib und Seele verfallen war, zu demonstrieren, was man mit einer einzigen Saite zuwege bringen konnte.
    Caffarelli war ein mittelmäßiger Orgelspieler, und urplötzlich verspürte er ehrfürchtigen Respekt – sowie tiefen Neid – beim Anblick der Plakate, auf denen die glänzende Laufbahn dieses Genies ihren Niederschlag gefunden hatte. Neben den Plakaten fielen dem Domherrn an den Wänden auch Gemälde und

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