Die Violine des Teufels
Flakons mit den verschiedensten Essenzen oder »Duftnoten« angeordnet waren.
Als wollte Orozco ein neues Parfüm kreieren, versah er sich mit einem Notizblock, einem Bleistift und einigen mouillettes – Duftstreifen –, um darauf die verschiedenen Substanzen aufzutragen, die er vor sich hatte: pflanzliche, tierische und synthetische, einige in flüssiger Form, andere als Pulver, manche mehrere Jahre alt, andere kürzlich erworben. In der Mitte des Tisches befand sich eine Waage, mit der jede Zutat genau abgewogen wurde.
Orozco saß auf seinem Arbeitsstuhl vor der Duftorgel und verströmte Selbstsicherheit und Zuversicht.
»Beschreiben Sie mir diesen Duft«, sagte er zu Ordóñez, ohne sie auch nur anzusehen.
»Er riecht nach Lavendel«, erwiderte sie, und ihre Stimme bebte, als stünde sie vor einer Prüfungskommission aus fünf Hochschulprofessoren.
»Das dürfte zweifellos die Kopfnote des Parfüms sein«, erklärte der Alchemist. »Deshalb ist sie Ihnen am stärksten aufgefallen. Sehen Sie, ein Eau de Cologne oder ein Parfüm besteht aus mehreren Substanzen oder Noten, die wir in drei große Gruppen einteilen, je nach der Flüchtigkeit der Rohmaterialien, aus denen sie bestehen. Die Kopfnoten verfliegen sehr schnell, sie halten nicht lange an, aber sie sind das, was einen anspringt, sobald man den Flakon öffnet.«
Ordóñez musste daran denken, dass sie sofort Nasenbluten bekommen hatte, sobald sie den Duft außersinnlich wahrgenommen hatte, doch sie wollte den Parfümeur jetzt nicht unterbrechen.
»Lavendel ist eine dieser Kopfnoten, aber es gibt noch mehr: Zitrone, Orange, Bergamotte et cetera. Dann haben wir die Herznoten, die ein bisschen länger halten, und schließlich die Basisnoten, die wir mit dem sogenannten Abgang eines guten Weins vergleichen können. Sie bleiben stunden- oder sogar tagelang auf der Haut und verleihen dem Parfüm seine Rundheit, seine Gesamtharmonie. Was können Sie mir noch über diesen Duft sagen?«
Hilfesuchend sah Milagros zu Perdomo, und Orozco erkannte sofort, wo das Problem lag.
»Sie haben den Duft im Kopf, aber Sie können ihn nicht in seine wesentlichen Komponenten zerlegen, nicht wahr? Pas de problème, Madame Ordóñez, dafür bin ich ja da. Da wir wissen, dass die Hauptkopfnote Lavendel ist, können wir Hunderte von Möglichkeiten ausschließen. Jetzt wollen wir versuchen, die Herz- und Basisnoten zu bestimmen. Sagen Sie mir, ob dieser Stoff im Parfüm ist.«
Milagros streckte das Handgelenk aus, damit der Parfümeur ihr den Duft darauf aufsprühen konnte, doch der Mann schüttelte den Kopf.
»Sie müssen am Papierchen riechen, auf der Haut würden sich die chemischen Bestandteile des Dufts mit denen in Ihrer Haut verbinden und sie modifizieren.«
Stundenlang schlossen der Parfümeur und die Psychologin durch Ausprobieren ganze Duftfamilien sowie die dazugehörigen Untergruppen aus. Perdomo verließ von Zeit zu Zeit das Atelier, um frische Luft zu schöpfen. Er staunte über die Gewandtheit, mit der Orozco seine Orgelpfeifen bediente; aber auch die Bestimmtheit, mit der Mila nickte oder den Kopf schüttelte, je nachdem, welches Papier sie sich an die Nase hielt, verblüffte ihn. Sie hatte offenbar nicht zu viel versprochen, als sie Perdomo gesagt hatte, dass der Geruch fest in ihrem Gedächtnis verankert war.
Gegen drei Uhr morgens merkte Perdomo, dass ihm allmählich die Augen zufallen wollten, und um Viertel nach fünf, als es bereits zu dämmern begann, erwachte er davon, dass Mila ihn sachte schüttelte, um ihm zu verkünden, dass der Parfümeur das Parfüm identifiziert hatte.
»Es ist ein deutsches Produkt, das in Wiesbaden hergestellt wird«, erklärte der Alchemist ausgesprochen stolz. »Kopfnote: Alpenlavendel, Zitrone, Mandarine, Bergamotte und Basilikum von den Komoren. Herznote: Geranie und Maiglöckchen. Basisnote: Vetiver aus Haiti, Sandelholz aus Indien, Ambra, Moschus und Eichenmoos. Es heißt Hartmann. Wollen Sie wissen, wie es riecht?«
In der einen Hand hielt Orozco ein Fläschchen mit einer kleinen Menge des Produkts, das zusammenzustellen ihm auf seiner Duftorgel gelungen war, in der anderen Hand einen Duftstreifen, dessen Spitze er in das Fläschchen tunkte und dem Inspector unter die Nase hielt. Der war erschüttert, als er daran roch und feststellte, dass es, genau wie Mila gesagt hatte, nach Lavendel duftete. Das war also das Letzte, was Larrazábal vor ihrem Tod gerochen hatte, schoss es ihm durch den Kopf.
Auf Nachfrage
Weitere Kostenlose Bücher