Die Violine des Teufels
Wirklichkeit gezogen wurde.
In einer letzten, übermenschlichen Anstrengung schien Paganini ihn mit sich in die tiefsten Tiefen der Hölle hinabziehen zu wollen. In Wahrheit versuchte Caffarelli nicht nur, sich aus dem Klammergriff des Musikers zu befreien, sondern kämpfte verzweifelt dagegen an, in jenen grauenerregenden Schlund hinabgerissen zu werden.
War dies der berüchtigte Teufelspakt, von dem so viel geredet worden war? Hatte Paganini Satan im Gegenzug für sein außergewöhnliches musikalisches Talent nicht nur seine eigene Seele, sondern überdies die eines weiteren Unglücklichen versprechen müssen?
Caffarelli wusste nicht mehr, wann er selbst zum letzten Mal die Beichte abgelegt hatte, denn er verabscheute dieses Sakrament. Obwohl er es beinahe täglich anderen Menschen spenden musste, war der Domherr insgeheim zu der Überzeugung gelangt, dass die Beichte eine Erfindung der Kirche war, um die Menschen in der Hand zu haben. »In der Vertraulichkeit meiner Seele werde ich Gott sagen, dass ich bereue, und Gott wird mir vergeben«, pflegte der Geistliche in letzter Zeit zu sich zu sagen. Er wusste natürlich, dass seine Weigerung, die Beichte abzulegen, Ketzerei war; sogar der Heilige Vater war verpflichtet, zu beichten. Seine letzten Beichten hatten ihn unbefriedigt gelassen, unter anderem, weil sie ihm nicht die erhoffte spirituelle Erleichterung gebracht hatten, wie er sehr wohl wusste. Der Frieden und die innere Freude, die von dem sicheren Wissen herrühren, dass einem sämtliche Sünden vergeben wurden, waren schon Jahre zuvor verschwunden und einem unablässigen Schuldgefühl gewichen, weil er falsche Beichten ablegte: Er ließ stets irgendeine Sünde aus oder beschönigte etwas. Ihm war völlig klar, was diese unheilvolle Kette betrügerischer Beichten ausgelöst hatte: sein zunehmender Widerwille dagegen, fehlerhafte Verhaltensweisen Personen gegenüber einzugestehen, die, mochten sie auch von der Kirche ermächtigt sein, die Beichte zu hören und die entsprechende Buße aufzuerlegen, in intellektueller Hinsicht nicht den geringsten Respekt verdienten.
Caffarelli wusste somit schon lange, dass er sich im Zustand der Todsünde befand, doch solange sein Widerwille gegen die Beichte größer war als seine Schuldgefühle, war er geneigt, den Augenblick, in dem er wie ein verlorener Sohn das Sakrament wieder empfangen würde, auf unbestimmte Zeit aufzuschieben.
Nun jedoch befand er sich in den Fängen eines Dämons, der mit übermenschlicher Kraft an ihm zerrte, um ihn mit sich vor Luzifer selbst zu bringen. In einer solchen Lage war es von grundsätzlicher Bedeutung, ob man sich im Zustand der Todsünde befand oder eine reine Seele hatte – es entschied über Seelenheil und ewige Verdammnis.
Diese Gedanken schossen Caffarelli durch den Kopf, als Paolo, Achille und die Haushälterin ins Zimmer gestürzt kamen. Der Messdiener reagierte instinktiv und als Erster: Er packte den erstbesten Gegenstand – das silberne Kruzifix, das auf dem Tischchen lag –, um Paganini damit auf den Kopf zu schlagen und ihn zu zwingen, seine Beute loszulassen. Als Achille sah, was Paolo beabsichtigte, stieß er ein durchdringendes Geheul aus, wie Caffarelli es noch nie gehört hatte – in den Ohren des Geistlichen klang es wie der Aufschrei eines Menschen, der von der Inquisition gefoltert wird. Dann warf Achille sich mit aller Kraft gegen Paolo und konnte ihn gerade so weit zur Seite stoßen, dass dessen wuchtiger Schlag sein Ziel verfehlte und das Kruzifix sich in einen der Bettpfosten bohrte. Beim Anblick seines Sohnes beruhigte Paganini sich so weit, dass Caffarelli sein Handgelenk aus dem gnadenlosen Griff des Musikers befreien konnte, woraufhin der Geistliche hastig aus dessen Reichweite krabbelte.
Er merkte, dass er gleich ohnmächtig werden würde, so stark waren die Schmerzen am gebrochenen Handgelenk. Paolo versuchte, ihm aufzuhelfen. Als ihm das nicht gelang, warf der stämmige Bursche sich den Priester kurzerhand über die linke Schulter und verließ eilig den Raum. Das Letzte, was Caffarelli in dem ganzen Tumult noch mitbekam, ehe er endgültig das Bewusstsein verlor, war, dass der Messdiener zu der Wand ging, an der die Bratschen und Geigen der berühmten Instrumentensammlung Paganinis hingen, und die berühmte Stradivari an sich nahm, die er zuvor so gierig begafft hatte.
Als Caffarelli wieder zu sich kam, befand er sich bereits im bischöflichen Palast in Sicherheit. Er lag in seinem eigenen
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