Die Violine des Teufels
Bett, und der linke Unterarm war vollständig geschient. Da er keine Schmerzen, sondern im Gegenteil eine gewisse Euphorie verspürte, vermutete er, dass man ihm Laudanum oder ein ähnliches Mittel verabreicht hatte, wofür er über die Maßen dankbar war. Vor ihm standen Guarinelli, der Leibarzt des Bischofs, und Seine Exzellenz, Monsignore Galvano. Beide betrachteten ihn mit einer seltsamen Mischung aus Erleichterung, Sorge und Neugier.
»Was zum Teufel ist geschehen?«, fragte der Bischof in einem Ton, der eine gewisse Verärgerung verriet.
»Ich vertraue dir eine einfache Krankensalbung an, und du veranstaltest einen öffentlichen Skandal«, schien darin mitzuschwingen – Seine Exzellenz wusste sich mit seinen Mitmenschen nicht anders zu verständigen als durch unentwegtes Tadeln.
»Wo ist Paolo?«, wollte seinerseits der Domherr wissen, der sich als Opfer eher berechtigt glaubte, hier die Fragen zu stellen.
Sogleich erkannte er an der Miene des Bischofs, dass dieser die Nichtbeantwortung seiner Frage als einen Akt des Ungehorsams betrachtete und nicht beabsichtigte, ihm zu antworten. Der Arzt erzählte an Galvanos Stelle: »Paolo hat uns lediglich gesagt, es habe ein gewaltsames Handgemenge gegeben und er habe Euer Hochwürden bewusstlos aus dem Haus tragen müssen. Er hat Euer Hochwürden hier in Eurem Schlafgemach in Sicherheit gebracht und ließ dann mich benachrichtigen, ich solle schnellstmöglich kommen. Seither haben wir ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
Caffarelli wog ab, ob es ratsam sei, in diesem Augenblick den Diebstahl der kostbaren Geige zu erwähnen, dessen Zeuge er geworden war, ehe er das Bewusstsein verloren hatte. Doch eine innere Stimme riet ihm davon ab, unter anderem weil er die Tat nur flüchtig gesehen hatte, und überdies in einem Zustand, der der Ohnmacht näher als dem Wachen gewesen war, so dass ihm nun Zweifel kamen, ob er sich das alles nicht bloß eingebildet hatte. Doch selbst wenn Paolo die Stradivari tatsächlich gestohlen hatte, wie er gesehen zu haben glaubte, erschien es ihm gefährlich, dies gegenüber dem Bischof zu erwähnen. Das hätte gerade noch gefehlt, dachte er, wenn Galvano ihn nach allem, was er durchgemacht hatte, auch noch beschuldigen würde, seinen Neffen fälschlich eines Verbrechens zu bezichtigen, oder ihn sogar für seinen Komplizen oder Anstifter halten würde. Daher beschränkte er sich bei seinem Bericht auf den wilden Übergriff des scheinbar doch im Sterben liegenden Paganini, wobei er selbstverständlich unterschlug, dass er nicht nur um sein Leben, sondern überdies um sein Seelenheil gefürchtet hatte, weil er so lange nicht gebeichtet hatte.
»Dieser Mann ist wirklich vom Teufel besessen, Euer Exzellenz. Als man mich mit ihm allein ließ, war er kaum mehr als ein Häuflein Knochen, aber Sekunden später hat er mich mit der Kraft eines Titanen gepackt.«
»Konntest du ihm die Letzte Ölung spenden oder wenigstens seine Beichte lesen?«
Als der Bischof erfuhr, dass Caffarelli weder das eine noch das andere möglich gewesen war, urteilte er: »Pech für ihn, denn man hat uns soeben mitgeteilt, dass der Unglückliche vor wenigen Minuten gestorben ist. Der arme Teufel ist im Zustand der Todsünde gestorben und kann kein christliches Begräbnis erhalten.«
Jahre später erfuhr Caffarelli von dem Maler Eugène Delacroix, mit dem er in Toulon zusammentraf, einige Details aus Paganinis Leben, die sein Unbehagen bei der Erinnerung an den Geiger erträglicher machten.
Der Künstler, der jenes einzigartige Porträt von Paganini gemalt hatte, erzählte Caffarelli, dass der Geiger nicht nur zu allen möglichen Krankheiten geneigt, sondern manchmal überdies den Eindruck erweckt hatte, das Leiden anderer Menschen ziehe ihn an.
Delacroix hatte den Geiger 1832 während einer furchtbaren Choleraepidemie gemalt, die Paris und ganz Frankreich verheert und mehr als hunderttausend Opfer gefordert hatte.
Zu der Zeit hatte Caffarelli gerade in Piemont gewirkt, weshalb er nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, wie die Epidemie – die zuerst 1817 in Indien ausgebrochen war – den Franzosen Jahr für Jahr langsam, aber unaufhaltsam näher gerückt war. Im Jahre 1830 hatte sie bereits Moskau erreicht, im folgenden Jahr Wien und Berlin, und in London waren die ersten Fälle zu Beginn des Jahres 1832 aufgetreten.
»In Paris«, erzählte der Maler ihm, »bereiteten wir uns seit 1830 auf die schreckliche Plage vor: Die Hospitäler wurden besser
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